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Village VoiceAls Hype glaubwürdig

■ Twenfreuden in den 90ern – heute u.a.: die schönste Melodie, die es augenblicklich gibt

Mehr als überrascht war man neulich, als auf der Fête de la Musique – in der Regel eine Veranstaltung mit vielen Berliner Bands, die man in der Regel nie und nimmer freiwillig und schon gar nicht gegen Bares hören möchte – eine Band wie Mina auftrat. Bisher zuständig für eher intime Konzerte in der Kastanienallee, Hannoverschen oder Rosenthaler Straße, also für Musik im und aus dem Wohnzimmer, präsentierten sich Mina hier auf einer großen Bühne der Fête-Laufkundschaft. Die Sonne stach, mit der Lautstärke auf den jeweiligen Monitoren klappte es nicht recht, und vor der Bühne tanzte einzig und allein ein wenig schön anzusehendes und überaus betrunkenes Kreuzberger Pärchchen. Trotzdem war es besser als zu Hause und sehr schön. Mina spielten ihre instrumentellen Epen im handlichen 3- bis 5-Minuten-Popformat, Keyboarderin Masha malträtierte ihr Instrument selbstvergessen und entrückt, und am Ende versprachen sie gar eine Record-Release-Party im „Kunst und Technik“.

Leider ist der Record-Release nur eine Vinyl-Mini-EP, doch die enthält jetzt wenigstens die Stücke, die man auf ihren Konzerten immer am liebsten hat, von denen man aber nie wußte, wie sie nun eigentlich heißen: „JR“, „Etomic“, „Rotes Plastik“ und „Hale Bop“. Songs, die viel zu hell und klar fürs Wohnzimmer sind, die sich für Tage am Meer eignen und auch dem verregnetsten Sommertag viele gute Minuten abgewinnen. „JR“ ist schläfrig und will sich nicht so recht aus der Decke schälen, selbst eingestreutes Telefongeläute hilft da nichts. Auch „Rotes Plastik“ und „Hale Bop“ vermitteln, warum es manchmal sehr viel Spaß macht, grundlos traurig zu sein. Doch „Etomic“ ist dann die volle Ladung irgendwo zwischen Fenton Weills und Friends Of Dean Martinez, zwischen Kraut, Pop und Western. Mit einer Orgel, die die schönste Melodie, die es augenblicklich gibt, anstimmt, die Baß, Gitarre und Schlagzeug meilenweit davonläuft und die demnächst die Grundlage für Seminararbeiten abgeben wird. Thema: Warum im Moment so viele Frauen in Berliner Bands an den Keyboards stehen oder sitzen, file under Wohnung, Contriva, Zuckerspender und wie sie sonst noch alle heißen. Wie auch immer: Mina sind großer Pop, ihre Songs erzählen die griffigen Pop-Geschichten auch ohne Lyrics, und wenn die Repeat-Taste an Abspielgeräten jemals Sinn gemacht hat, dann hier. Mehr davon! Falls Mina jemals ein Hype werden sollten, dann bitte glauben!

Ähnlich losgelöst wie manchmal Mina klingt die Band mit dem vielversprechenden Namen „niedlich 666“ auf ihrer Mini-CD „dab. superpark“. Ihr Song „Naner“ fängt traurig-melancholisch an und erzählt die Geschichte einer mißglückten Beziehung („für dich gibt's noch Schuhe, die passen, und ich hab' noch Freunde, die kann ich sehen“). Doch dementsprechend getröstet, läßt sich der Zukunft gleich viel besser in die Puschen sehen, weswegen auch „Naner“ immer fröhlicher und swingender klingt und alles gut wird. Der Rest berichtet von Twen- Freuden in den späten Neunzigern, von Luft und Liebe und davon, daß es momentan wirklich nichts gibt, worauf man sparen müßte. Glückliche Jugend, „Gott ist das Leben schön“, und da sich so was ja nicht endlos wiederholen läßt, beschwören niedlich 666 das Glück mit Songtiteln wie „dabdabdab“ oder „BaBa Supermarkt“. Richtig zwingend ist aber nur ihr Song „Naner“.

Bei so viel Instrumentalfegern und Kindermusik ist es gut, in diesem kleinen EP-Contest auch noch ein Rockformat zu besprechen. Planet Pile ist die Band von WTFs Vicky Schmatolla, die bisher den Bandits auf den Erfolgsweg half, musikalisch eigentlich Drum&Bass- based ist und mit „Trolle Massive“ gerade versucht, Theater und Drum&Bass unter einen Hut, sprich Club, zu bringen. Bei Planet Pile gibt's schwer dramatisches („Blessure“), Funk und alles Crossoverndes („Panic Blossom“), einen Gassenhauer mit viel Hall und Beatles- Samples und -Zeilen („Floyd“) sowie mit „If I Ever“ einen Song, in welchem Vicky Schmatolla verzerrt und verknautscht einen auf Emo-Metaller macht. Alles nicht der Rock-Weisheit letzter Schluß, aber den gibt's ja auch seit Jahren schon nicht mehr. Gerrit Bartels

Kontakte: Mina (Lok Musik, 4499412), niedlich 666 (Dynamo music), Planet Pile (WTF, 01773057044)

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