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Sachte, aber nicht seicht

Zwei Handbewegungen, ein Augenrollen: Archie Shepp in der Fabrik  ■ Von Andreas Schäfler

Eine schöne Aufwartung: Wiegenden Schrittes betritt er die Bühne, wie gewohnt in tadellosem Anzug, mit Hut und Krawatte. Richtet sich zum tausendsten Mal zwischen Barhocker und Mikrophonen ein, setzt sein Tenorsaxophon an und legt einfach los. Vom Moment weg ist Archie Shepp in seinem Element, zwei, drei Handbewegungen noch Richtung Mischpult, den Rest regelt sein Augenrollen.

Hinter ihm drei vorzügliche Begleiter: Steve McCraven am Schlagzeug, mit Shepps Musik seit Jahren verwachsen, am Piano Richard Clements und am Bass nicht der angekündigte Wayne Dockery, sondern ein vergleichbar agiler Herr mit Vornamen Judas. Das erste Stück hat schon enormen Schub – Musik, der man die dringende Notwendigkeit anhört und die kratzbürstige Intensität, für die Archie Shepps Ton so berühmt wie berüchtigt ist.

Entsprechend aufgeräumt schmiegen sich die vier in die anschließende Ballade von Billy Strayhorn. Der Rhythmus wird sachte mit dem Besen gerührt, und die Melodie könnte nirgendwo besser aufgehoben sein als in Shepps Saxophon: Sie träumt auf einem Kissen aus Luft vor sich hin. Dann tritt McCraven an die Bühnenrampe, macht mit Händen und Füßen und Backenstreichen kurz und gekonnt den Hambone-Hampelmann – als Intro zu „Mama Rose“: „People from Cleveland, people from Baltimore... Re-vo-lu-tion.“ Das Publikum in der angenehm gefüllten Fabrik staunt, wie gut das musikalische Rezept dazu immer noch funktioniert.

Wenn Shepp sich ordentlich verausgabt hat und sein Horn beiseite legt, wird das Lied – so will es der Brauch – zunächst vom Pianisten weitergesungen. Doch Richard Clements widersteht der Versuchung, gefällig zu solieren. Sein Akzent ist trocken, er bringt nur kurze, verschrobene Läufe und höchstens Anflüge von Eleganz ins Spiel: Das verrät wahre Brillanz und ist die passende Unterfütterung. Die direktesten Reaktionen auf die Parolen des Leaders sind ohnehin Steve McCraven vorbehalten. Sein Schlagzeugspiel ist eine farbige Kombination aus Hingabe und Verläßlichkeit.

Haben sich alle (Judas inbegriffen) reihum exponiert, fängt Shepp zu singen an: expressiv, losgelöst, zum Steinerweichen schön wie früher Joe Lee Wilson. Und so schaukelt sich das Konzert über „Steam“ und „Goodbye Sweet Pops“ zum hymnischen Finale hoch, einem vehementen Blues für Bessie Smith.

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