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Französisch in der Rappelkiste

Im ersten deutsch-französischen Kindergarten Mecklenburg-Vorpommerns gehört nicht nur die Sprache zum Alltag, sondern auch die Kultur des fernen Südwestens  ■ Aus Rostock Anja Dilk

Der Würfel kullert über das Spielbrett. Tobi zieht sein Männchen über die Felder. Eins, zwei, drei. Och nöö, Tobi kann das auch anders. „Oh là là, non, en français“, sagt Luc, der Betreuer. Un, deux trois, skandieren die Kinder im Gleichklang, und Tobi rückt auf ein Feld mit einem großen Affen vor. „Et c'est quoi?“ fragt Luc. „C'est un singe“, kreischt Erik.

Französischstunde im Kindergarten „Rappelkiste“ in Rostock. Unter dem schattigen Grün der Kastanien hocken Tobi, Jan, Olli, Claudia und Erik mit ihrem französischen Betreuer Luc zusammen, machen Brettspiele, singen Chansons oder lassen Fingerpuppen tanzen – tout en français. Luc Abot, der 26jährige Lehrer aus Westfrankreich, spricht den ganzen Tag in seiner Muttersprache mit den Kids. Nur im Notfall redet er deutsch. Untereinander sprechen die Kleinen natürlich weiter deutsch, manchmal antworten sie auch in ihrer Muttersprache. „Aber die verstehen wirklich sehr, sehr viel“, sagt er. Denn die Zweieinhalb- bis Sechsjährigen in der Rappelkiste werden von deutschen und französischen Erziehern gleichermaßen betreut. Im ersten deutsch-französischen Kindergarten Mecklenburg-Vorpommerns.

Was 1995 auf Initiative eines Vaters entstand, ist seit eineinhalb Jahren als Modellprojekt des Kultusministeriums anerkannt. Mit Unterstützung des Institut Français in Rostock hat damals Kindergartenleiterin Petra Otto das Projekt auf die Beine gestellt. Bereits jetzt ist mehr als die Hälfte der Kinder in der Rappelkiste in der zweisprachigen Erziehung, im Spätsommer werden es alle sein.

„In der DDR haben Sprachen kaum eine Rolle gespielt, wir haben da einen ganz großen Nachholbedarf“, sagt Otto, die gerade selbst am Institut Français Französisch paukt und erlebt, „wie mühsam es ist, in meinem Alter noch eine Sprache zu lernen.“ Kids lernen viel schneller und akzentfrei. Je kleiner, desto besser. Denn da werden Grundlagen gelegt. Das ist auch vielen Eltern klar. Mögen auch manche ihre Kinder in den Kindergarten geben, weil er um die Ecke liegt – die meisten schicken ihre Kinder bewußt in die zweisprachige Erziehung: „Die entscheiden sich gerade unter dem Gesichtspunkt Europa für die Kita“, vermutet Otto.

„Bon appetiiiiit“, tönt es aus dem Essensraum. „Merciiiii“, ruft Tobi, und Jan, Olli, Claudia und Erik und stürzen sich auf Kartoffelbrei und Gehacktes. Nicht nur die französische Sprache gehört für sie zum Alltag, sondern auch die französische Kultur. Zum Beispiel Spielen wie die Franzosen: Boule. Kochen wie die Franzosen: Crêpes und Croissants. Oder Feiern wie die Franzosen: das Fest der Heiligen Drei Könige, im katholischen Frankreich ein wichtiger Brauch, im atheistischen Ostdeutschland ganz fremd.

Kürzlich, am Afrikanischen Tag, kamen kleine Gäste aus den französischsprachigen Ländern Togo und Kamerun, deren Familien in Rostock wohnen. Alle haben gemeinsam Pfannkuchen gebacken und afrikanische Musik gemacht. „Das war ein riesiger Erfolg“, sagt Karoline Müller, die deutsche Kindergärtnerin, „auch wenn am nächsten Tag einige Kinder mit fiesen Bemerkungen über die schwarzen Gäste ankamen, die sie wohl bei den Eltern zu Hause aufgeschnappt hatten.“ Ein Grund mehr, findet sie, solche Veranstaltungen häufiger zu machen.

„Wir wollen die Sprache den Menschen in den neuen Bundesländern näherbringen. Und es ist wichtig, daß die Kinder sehen, daß Französisch nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern gesprochen wird“, sagt Philippe Braud, Generalsekretär des Institut Français in Rostock. Und daß es auch außerhalb des Kindergartens eine Rolle spielt. So geht es zweimal pro Woche ab ins Institut zur Märchenstunde.

Leicht war es nicht, das Projekt aus der Taufe zu heben. Schließlich gibt es in den neuen Bundesländern keine lange Tradition der deutsch-französischen Beziehungen wie in den alten, wo Schüleraustausch, Jugendfahrten oder zweisprachige Projekte längst zum Alltag gehören. „Hier ist es schon ein wenig künstlich, Französisch zu lernen“, sagt Braud, „Es leben vielleicht 20 Franzosen in der Stadt und eine Handvoll französischer Studenten. Da ist es schwer, die Leute zu motivieren.“ Auch französische Lehrer zu finden war nicht ganz leicht. „Mit Rostock kann bei uns kaum einer etwas anfangen.“ Mecklenburg-Vorpommern ist von Frankreich einfach sagenhaft weit weg.

Frankreich. Wie ist es dort eigentlich? Erik weiß es genau: „In Frankreich sind die Bäume viel größer“, sagt er und malt mit den Armen einen großen Kreis in die Luft, „weil das Land viel größer ist.“ Und dann haben die da so komisches Essen. Diese Hörnchen, bääh. Doch die Sprache kann der Fünfjährige gut leiden. Seiner Mama hat er schon ein bißchen beigebracht, erzählt er. Oui und non und bonjour.

Die ersten Kinder, die in der Rappelkiste Französisch gelernt haben, gehen mittlerweile zur Schule. Damit sie in Französisch am Ball bleiben, bietet der Kindergarten nachmittags einen Hort mit zweisprachiger Betreuung an. Denn bislang gibt es in Rostock keine bilinguale Grundschule. Den Antrag für eine bilinguale Klasse hat Kindergartenleiterin Otto bereits gestellt. Dort sollen auch einige Fächer in der Fremdsprache unterrichtet werden, natürlich von Muttersprachlern. „Mit zweisprachiger Erziehung kann man die Kinder am besten für Sprache und Land sensibilisieren“, sagt Philippe Braud.

Erik allerdings zieht es derzeit nicht nach Frankreich. „Da sprechen alle so gut Französisch“, sagt er, „und das kann ich noch nicht richtig.“ Fazit: weiterbüffeln an der Grundschule. Seine Kameradin Claudia dagegen möchte auf jeden Fall nach Frankreich fahren. Spätestens wenn sie groß ist. Denn sie hat gehört, daß es dort unerhört anders sein soll: „Da ist die Erde schwarz.“ Und das muß sie sich unbedingt mal ansehen.

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