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■ Vom ungeliebten Robbenfresser zum SympathieträgerEndlich: Eisbären im Aufwind

Lange Zeit hatte der Eisbär so gut wie gar keine Presse und wenn, dann eine schlechte. Das DTV-Lexikon von 1975 weist ihn unter der Kategorie „Raubtiere“ als „gelbweiß“, „zottig“ und „guten Schwimmer“ aus, der „im Norden am Strand und auf Treibeis haust“ und obendrein „vorwiegend Fleischfresser“ ist.

Diese letzte Angewohnheit mag mit ausschlaggebend dafür gewesen sein, daß der Eisbär in den Tierfilmen der späten siebziger Jahre nicht besonders gut wegkam. Auf seinem Speiseplan standen nämlich durchaus auch Robbenbabys, die damals – wir erinnern uns – unter besonderem Schutz der Weltöffentlichkeit standen. Als geheimer Komplize der Felljäger und Robbenschlächter wurde der Eisbär in der Regel als wildes Raubtier in Szene gesetzt, das sich zudem nicht mal darum scherte, ob die Robbenbabys nun Sprühfarbe im Fell hatten oder nicht. Selbst Greenpeace konnte somit nichts gegen ihn ausrichten.

Unschöne und ungeschönte Bilder von teilweise regelrechten Metzeleien gingen damals um die Welt und trübten das Image vom Eisbären nachhaltig. So nachhaltig, daß sich Anfang der Achtziger, als mit der „Neuen Deutschen Welle“ eh einiges anders wurde, die Formation „Grauzone“ bemüßigt fühlte, gegenzuhalten und mit dem Song „Eisbär“ ein wenig Stimmung für den groben Gesellen aus dem hohen Norden zu machen. In einem grundsätzlichen Schwenk sollte der Eisbär sogar als regelrechtes Identifikationsangebot lanciert werden. Allerdings war das Argument, mit dem das geschehen sollte – „Ich möchte ein Eisbär sein, denn Eisbären müssen nie weinen“ – wohl doch etwas zu fadenscheinig. Man hatte das Publikum unterschätzt; schließlich bedurfte es keiner großen Geistesanstrengung, um dahinterzukommen, daß das Nicht-weinen-Müssen durchaus auch anderen Tiergattungen zueignet und also nicht den Eisbären in besonderem Maße positiv auszeichnet und hervorhebt.

Insgesamt kam der Imagewechsel wohl auch zu früh und plötzlich und war seiner Zeit schätzungsweise schlicht um ein paar Jahre voraus. Einzig in Zoos fand der Eisbär zwischenzeitlich seine bescheidene Klientel, zumeist in der wenig attraktiven Zielgruppe der Kinder und Rentner, mußte sich dafür aber auch tagein tagaus ganz schön ins Zeug legen und Späße und Dummheiten veranstalten, die dazu angetan waren, die Frage nach der Würde des imposanten Polarbewohners aufzuwerfen. Die klandestinen Vorbereitungen für ein Comeback des Eisbären unter gewendeten Vorzeichen dauerten bis in die frühen Neunziger. Dafür erleben wir es in diesen Tagen um so heftiger. Wichtigster Faktor dürfte sein, daß die allmächtige Werbebranche den Eisbären als Sympathieträger für sich entdeckt hat.

Scheinbar gänzlich von seiner historischen Schuld befreit durfte er zunächst in Berlin für die „Bewag-Fernwärme“ auf Plakaten erscheinen, wie er lässig hingestreckt auf einer Eisscholle lagert. Das selbe Motiv taucht später in einer bundesweiten Kampagne für „Punica Tea and Fruit“ auf, nur daß der Bär jetzt an der Flasche lehnt und ein „Punica“- Shirt übergestreift bekommen hat. Ambivalent war zwischendurch noch einmal jener Quelle-Spot, in dem ein Eisbär animalisch-bedrohlich hinter der Eisschnelläuferin Franziska Schenk herstratzt, ohne sie jedoch zu erwischen; ein echter backlash wurde deshalb auch nicht draus.

In einem anschließenden Langnese-Kinospot verwandelt sich der Protagonist – befördert durch Speiseeiskonsum – erneut zu einem äußerst sympathischen Eisbären. Genauso ergeht es der isländischen Sängerin Björk in ihrem aktuellen Video zum Song „The Hunter“, nur daß sie am Ende des Clips nicht als normaler, sondern als Cyborg-Mutanten-Eisbär dasteht. Ein Bild, das die Zukunftstauglichkeit des Eisbären eindrücklich unter Beweis stellt und die Grobrichtung für eine weitere Popularisierung des Tieres vorgeben könnte.

Als upcoming species des nächsten Jahrtausends steht der Eisbär heute unverhofft ganz allgemein als Chiffre für Coolness und Easy goin‘, gepaart mit jener charmanten „Zotteligkeit“, die auf das trefflichste das Lebensgefühl der Chill-out-Generation widerspiegelt. Daß das mit den realen Lebensumständen am Polarkreis natürlich so gut wie nichts zu tun hat, spielt – wie so oft im Kosmos der symbolischen Kommunikation – längst keine Rolle mehr.

Alle Anzeichen sprechen dafür, deshalb sei die Prognose hier gewagt: Der eigentliche Siegeszug des Eisbären in alle Bereiche des öffentlichen Lebens hinein steht erst noch bevor und kann durch nichts und niemanden mehr aufgehalten werden. Holm Friebe

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