: Die „Ice Cream“-Symphonie
■ Die Chris Barber Band spielte in der Glocke „Ja, wir san mit'm Orchester da“
Was ist nicht alles in den letzten Jahrzehnten arrangiert, aufgeführt, versucht und verworfen worden, um Jazz und klassische Musik zu fusionieren. In den ehemaligen Schwimmhallen von Bremerhaven mußte man vor ein paar Jahren leidvoll erleben, wie selbst das „Art-Ensemble of Chicago“ zusammen mit einem Symphonieorchester baden ging. Ein ganz neuer, verwegener Ansatz tat not, und diesen haben nun ausgerechnet die „Chris Barber Jazz & Blues Band“ gemeinsam mit den Hamburger Symphonikern gefunden: Sie ignorieren einfach alle Entwicklungen dieser Richtung der letzten 80 Jahre, und spielen einen Mischmasch aus Dixieland und klassischen Tonklischees, gegen den Gershwin wie ein verwegener Avantgardist klingt.
Bei den meisten Stücken, die in der Glocke gespielt wurden, hieß dies nicht viel mehr als die altbekannte Streichersoße unter dem urtraditionellen Jazz der Band. Mehr als ein Drittel des Konzerts spielten die acht Musiker der Band zudem ganz ohne das Orchester. Dessen Aufgabe währen dieser Zeit bestand darin, bei jedem Solo höflich mit den Geigenbögen Beifall zu klopfen. Bei einigen gespielten Stücken überzeugte immerhin die Frechheit der Musiker. So wurde ein Stück keck als „Jazz Elements Suite Part 4“ angekündigt, und entpuppte sich dann als nichts anderes als das Spiritual „Over in the Holy Land“, dessen leicht veränderter deutscher Titel das Motto des Abends abgab: „Ja, wird san mit'm Orchester da“.
Das begleitete dann auch bei diesem Stück brav mit ein paar belanglosen klanglichen Verzierungen, aber der Höhepunkt des Orchesterwerks war zweifellos der Marsch der spielenden Musikanten von der Bühne herunter und durch die Stuhlreihen der Glocke. Ellingtons „Mood Indigo“, der „Basin Street Blues“ und der „Aligator Hop“ von King Oliver wurden so durch ein paar Einsätze von Streichern und Bläsern aufgepeppt. Das Problem der Bruchstellen zwischen Improvisation und festgeschriebener klassischer Musik, an dem all die anderen Konzepte ja letztlich scheitern, stellte sich garnicht, weil zum einen die Band in Jahrzehnten so eingespielt ist, daß von Improvisation nun wirklich nicht die Rede sein kann, und weil sich die beiden Klangkörper eh immer nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner trafen. So ging auch nur ein Stück völlig daneben: Im „Concerto for Jazz Trombone and Orchestra“ mußte der Bandleader unbedingt beweisen, daß er alleine es mit dem Orchester aufnehmen konnte. So pur und nackt stellte sich bei seinem Spiel aber schnell heraus, wie unsauber sein Ansatz war, und daß er alles andere als ein großer Jazz-Solist ist.
Aber von all dem ließ sich das Publikum nun wirklich nicht die Laune verderben. Die ganze Kritik – die Vergleiche mit anderen Jazz-Klassik-Cross-Over-Projekten, die Frage nach Originalität und Konzept – all das wirkt leicht lächerlich angesichts der erstaunlich vielen ZuhörerInnen, die selig waren, als sie nur bei Barbers großen Hit „Ice Cream“ mitsingen durften. Hier saß der harte Kern derer, die nicht Jazz sondern urgemütlichen „Jatz“ mögen und die Stimmung war gut, nur das Bier fehlte. Zum Ausgleich konnte man sich aber erhoben fühlen, denn immerhin hatte man mal in der Glocke vor einem Symphonieorchester gesessen. Und daß dabei eigentlich zwischen den Sätzen nicht geklatscht wird, interessiert ja nun wirklich niemanden. Wenn ein Publikum mit solchen simplen Mitteln zu begeistern ist, muß der Kritiker die Waffen stecken. Nur die vielen unterforderten Musiker auf der Bühne konnten einem leidtun.
Wilfried Hippen
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