: Patriarch Smidt mal ganz privat
■ Im Staatsarchiv wird das historische Bild des Staatsmannes und Bürgermeisters derzeit verfeinert: „In der Jugend dachte er sehr aufgeklärt“
Auch Johann Smidt war einmal Schoßkind. So jedenfalls nannte Lucia Margarete Herbart jenen kleinen Jungen, der später in den Jahren 1821 bis 1857 Bremens Bürgermeister sein sollte. Als er erwachsen wurde, schrieb sie dem „untreuen Freund“, zugleich Busenfreund ihres Sohnes, dann Mahnungen über dessen Schreibfaulheit – und tauschte sich mit ihm über Napoleon aus.
Während Lucia Margarete Herbart als geschiedene Frau, noch dazu als Hosenträgerin später bekannt-berüchtigt wurde, avancierte Johann Smidt, der Pfarrerssohn von St. Stephani, allen Prognosen und väterlichen Wünschen zum trotz nicht zum Kirchenfürsten, sondern zum anerkannten Stadtoberhaupt. Für seine gekonnten Pirouetten auf dem diplomatischen Parkett, etwa beim Wiener Kongreß oder später bei der Frankfurter Bundesversammlung, errang er deutschlandweit Achtung.
Ein Mann allerdings auch, der im Alter zunehmend patriarchalisch dachte, politisch die demokratische Revolution von 1848 in Bremen niederschlug und später, in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts, wegen seiner Haltung gegenüber der jüdischen Bevölkerung auch als Antisemit kritisiert wurde.
Die größeren historischen Taten des Politikers, der in Jena unter anderem bei Johann Gottlieb Fichte Philosophie studiert und Goethe und Schiller persönlich gekannt hatte, bevor er später in Bremen lernte, politische Fäden zu ziehen, sind weitgehend bekannt. Weniger öffentlich wurde bislang, wie ihm sein Sohn Heinrich dabei half, heimlich politische Ränke zu schmieden. Und auch wie pedantisch Smidt mit zunehmendem Alter wurde – wie vielleicht auch nur wenige wissen, wie liberal er dagegen in der Jugend dachte.
„Gemessen an seiner Zeit und an dem was man in seinem Elternhaus dachte, war er ungewöhnlich aufgeklärt“, sagt Monika Schulte. Die Historikerin im Staatsarchiv wird seit sechs Monaten von der Deutschen Forschungsgesellschaft dafür bezahlt, bislang verschüttete Einsichten über Smidt (geb.1773, gest. 1857) zugänglich zu machen. Sie sichtet, numeriert, dechiffriert und katalogisiert sie eng beschriebene Briefe, kompakte Tage- und Stammbücher und sogar fitzelige Notizzettel aus dem Nachlaß der gesamten Sippe Smidt. Die hatte bereits 1909 große Teile ihrer mittlerweile fast 500jährigen Familiengeschichte im Staatsarchiv deponiert, doch wegen Geldmangels war die Berarbeitung des Materials lange liegengeblieben – und auch wegen der Umstände. „Der Bestand war während des Krieges ausgelagert“, erklärt Archivleiter Hartmut Müller. Erst Ende der 80er Jahre kehrten die letzten Materialien aus der ehemaligen UdSSR ins Bremer Staatsarchiv zurück.
15 Regalmeter belegen sie dort seitdem. Bis in 12 Monaten sollen die so sortiert sein, daß auch Wissenschaft und Öffentlichkeit ihren Weg durchs Papierdickicht finden. Bis dahin hat Monika Schulte das einsame Vorrecht – und amüsiert sich dabei durchaus. Über den ersten Brief des damals 24jährigen Johann Smidt beispielsweise an seine Schwiegereltern in spe.
Da drohte Smidts heimliche Verlobung mit seiner späteren Ehefrau Wilhelmine Rohde just aufzufliegen. Die Liebste hatte ihn per Brief in der Schweiz alarmiert, um zu retten was zu retten war. Schriftlich offenbarte er sich ihren Eltern und hielt um die Hand der Apothekerstochter an. Monate später, nachdem Smidt seine erste Professorenstelle am Gymnasium Illustre in Bremen antrat, wurde die für damalige Zeiten weniger übliche Liebesheirat der beiden besiegelt. Was die Schwiegereltern sicher nie erfuhren: Das junge Paar hatte sich für die Verlobungszeit Freiheit versprochen: Wer sich anderweitig verliebte, sollte gehen dürfen. Für damals ungewöhnlich.
Daß Smidt trotzdem kein Vorkämpfer für die Gleichheit der Geschlechter war – auch das er gibt sich aus seinen Korrespondenzen. „Für seine Frau galt Kinder, Küche, Kirche“, sagt die Historikerin Schulte. Und seine einzige Schwester konnte Johann Smidt nicht davor bewahren, vom Vater verheiratet zu werden. Wohl aber erreichte er, mit der Mutter zusammen, daß Schwester „Trinchen“ den Gatten in spe immerhin schon vor der Hochzeit kennenlernte.
Und noch mehr weiß die Archivarin über das Verhältnis von Bruder und Schwester: Daß die beiden sich über lange Jahre, als Johann Smidt schon auswärts studierte, Briefe schrieben, die mit einem Geheimcode versehen waren. Aus diskreten Einträgen wie „Klasse 1, 2 oder 3“ ergab sich, wem sie welche Informationen aus dem Brief weitergeben durfte. Und manche Epistel verfaßte der spätere Politiker auf ihren Wunsch hin in solch kleiner und unleserlicher Schrift, daß nicht nur die Archivarin, sondern wohl auch der gefürchtete alte Vater alle Mühe mit dem Entziffern hatte. ede
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