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Öcalan in Rom - Chance für Menschenrechte / CSU hat angefangen / Ein begrüßenswerter Sonderweg / Fehlstart? Nee, Fehlbesetzung! / Egoismus unterschreitet Profilierungssucht

betr.: „PKK-Chef günstig abzugeben“, taz vom 24.11.98

[...] Es geht hier nicht um die Person Öcalans. Es geht auch nicht primär um seine Verbrechen (oder Revolte, wie immer man das in 20 Jahren nennen mag). Es geht um die türkische massenmörderische Politik gegen Kurden. Die Maske des türkischen Staates ist gefallen. [...]

Ich kann es nur vermuten, aber meines Erachtens ist Öcalan nicht in panischer Flucht in Italien gelandet, sondern benutzt sich selbst als Joker, um Europa und nun auch die USA zu zwingen, sich mit der Kurdenverfolgung auseinanderzusetzen. Das türkische Militär marschiert ungeachtet und ungestraft jenseits aller Völkerrechts- und Territorialgesetze nach Gusto in den Nordirak ein (gar nicht zu reden vom Krieg auf eigenem Staatsterritorium). 30.000 Soldaten gegen angeblich 500 von der PKK-Guerilla. [...]

Solange es Öl und andere Bodenschätze im „reichen“ Kurdistan gibt, solange werden sich die rein wirtschaftlich und militärstrategisch orientierten USA um ihre altbekannten Verhandlungspartner bemühen. Was zählen da schon tote Menschen.

Bislang tat sich die EU nur mit lahmen Protesten gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei hervor (Leyla Zana!), um dann vorrangig die eigenen Schäfchen ist trockene zu bringen. Madame Mitterrand ist eine Ausnahme, sie wurde dafür ja auch von türkischen Zeitungen als Hure beschimpft. Die USA feuerten die Kurden im Irak-Krieg zur Revolte gegen Saddam Hussein an, um sie dann komplett im Stich zu lassen. Es gibt keine hilfreiche Hand für ein verfolgtes 30-Millionen-Volk.

Man mag über Öcalan denken, was man will. In diesen Tagen ist er weder Terrorist noch Revolutionsführer noch Verbrecher, sondern er ist Symbol für die weitere internationale Kurdenpolitik. [...] Langfristig gesehen ist ein Öcalan in Rom eine Chance; man muß sie nur zu nutzen wissen. Schaun wir mal, was die Menschenrechte wirklich wert sind. Auch für die neue bundesdeutsche Regierung! Silvana Beer, Hildesheim

CSU hat angefangen

betr.: Stoibers Forderung eines Volksentscheids zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, taz vom 23.11.98, Seite 4, Kurzmeldung

Unser CSU-Ministerpräsident scheint ein CSU-Kurzzeitgedächtnis zu haben. Mit der doppelten Staatsbürgerschaft hat nach meinen Erinnerungen die CSU schon vor Jahrzehnten angefangen. Damals bekam der sogenannte Kaiserenkel von Habsburg diese aus politischen Gründen von der CSU-Staatsregierung angedient. Dr. Stoiber sollte deshalb über die Folgen nicht in scheinheilige Verwunderung fallen. Günter-Arno Rische, Nürnberg

Ein begrüßenswerter Sonderweg

betr.: „Fischer irritiert die USA“, taz vom 25.11.98

[...] Höre ich Atomwaffen, so denke ich an die Hunderttausenden ermordeter und immer noch leidenden Menschen in Hiroshima und Nagasaki, an die SS-20- und Pershing-Atomraketen. Die wurden nie gezündet, da sie nach Verhandlungen der US- mit der UdSSR-Regierung allesamt verschrottet wurden. Dadurch verschwand zum ersten Mal in der Weltgeschichte eine ganze Waffenkategorie aus den Arsenalen der Weltmächte.

Ich denke auch an den Protest der Millionen gegen die französischen, indischen und pakistanischen Atomtests. Joschka Fischer stellt also nicht nur eine kleine Klientel von Atomwaffengegnern zufrieden, sondern spricht für die Millionen Menschen, die in einer atomwaffenfreien Welt leben wollen. Ich hoffe, daß die Grünen ohne Wenn und Aber die Forderung des Außenministers unterstützen, um diese erschreckende Nato-Strategie zu beenden. Der Kriegsdienstverweigerer Scharping sollte diesen „Sonderweg“ ebenfalls beschreiten. Ernst Busche, Bremen

Fehlstart? Nee, Fehlbesetzung!

betr.: „Die Legende vom Fehlstart“, taz vom 24.11.98

[...] Ausführlich läßt sich Herr Franz zum Thema Steuerreform aus – wo die Regierung bis dato keinen Mist gebaut hat – nimmt sich dann die Kindergelderhöhung vor, die ein schlechter Scherz ist, denn von 40 Emmchen mehr im Monat haben weder Kids noch Eltern was. Die steuerliche Entlastung der Familien mit zwei Kindern ist angesichts der immer noch hohen Arbeitslosigkeit und der vielen alleinerziehenden Mütter, die von Sozialhilfe leben und keiner steuerpflichtigen Tätigkeit nachgehen, schon kein Scherz mehr, sondern eine Beleidigung, denn es bestehen bis jetzt keine Pläne der Regierung, den Sozialhilfesatz anzuheben. Und SozialhilfeempfängerInnen mit Kindern werden tatsächlich den Hut ziehen – nämlich um ihn neben sich zu legen und zu betteln. Wohin will Herr Schröder denn die mittlerweile mehr als drei Millionen SozialhilfeempfängerInnen mitnehmen?

Und daß die Zusammenarbeit zwischen den Regierungsparteien so überraschend gut klappt, zeigt nur, welche elenden Anpassungsverrenkungen die Grünen machen, nur um der Regierungsbeteiligung willen. [...] Fehlstart? Nee, Fehlbesetzung. Kerstin Witt, Berlin

Egoismus unterschreitet Profilierungssucht

betr.: „Wolfgang Niedecken oder das Leben ist ein Roman Herzog“, taz vom 6.11.98

Nichts, was Wolfgang Niedecken in den letzten Jahrzehnten gesagt und getan hat, kann oberflächlicher gewesen sein als Ihre primitive Kritik. [...] Für mich besteht kein Zweifel daran, daß der Intensitätsgrad des Niedeckenschen Egoismus bei weitem die Profilierungssucht eines Wiglaf Droste unterschreitet. Jo Seitz, Niddatal

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die auf dieser Seite erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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