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■ Der Medienrummel sichert dem Bündnis für Arbeit eine ChanceErfolgsdruck

In Krisenzeiten ist Klassenkampf in Deutschland völlig out. Alle sollen vielmehr an einem Strang ziehen. So stark ist der Druck, daß sich die Unternehmer dem gar nicht entziehen können. Ihren anfänglichen schweren Beschuß gegen die rot-grüne Regierung haben sie weitgehend eingestellt. Jetzt sieht man einen lächelnden Arbeitgeberpräsidenten, der mit einem ebenso lächelnden Gewerkschaftschef und dem stolz dreinblickenden Kanzler vor die Kameras tritt, und alle loben das gute Gesprächsklima.

Die Unternehmerseite hat eingesehen, daß sie wohl oder übel mindestens für die nächsten vier Jahre mit der ungeliebten rot-grünen Koalition leben muß. Das Bündnis für Arbeit bietet da die Gelegenheit, die Regierungspolitik ein wenig zugunsten der Unternehmen zu beeinflussen – und siehe da, die steuerliche Entlastung für Unternehmen soll nun voraussichtlich vorgezogen werden. Die Regierung muß schließlich kompromißbereit sein, hat doch Gerhard Schröder die Senkung der Arbeitslosigkeit zur Meßlatte seines Erfolgs gemacht. Dafür ist er sogar bereit, die Gewerkschaften mit ihren Lohnforderungen zu zügeln.

Jede Seite macht sich Hoffnungen, die Bündnis- Gespräche zu ihrem Nutzen zu beeinflussen, und nicht zuletzt wegen des großen Medienrummels steht jede Seite dabei unter hohem Erfolgsdruck. Den Fehler der Kohl-Regierung will man nicht wiederholen, als diese die Bündnis-Gespräche aufkündigte, die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall abschaffte und dadurch sich und das Unternehmerlager in ein Fiasko ritt.

Das Problem mit dem Erfolgsdruck ist allerdings die Frage, wie sich der Erfolg kurzfristig mißt. Ist es ein Erfolg, wenn die Nachfrage dank höherer Lohnabschlüsse steigt? Oder wenn die Steuerbelastung sinkt? Oder wenn sich die Innovationsgeschwindigkeit der Wirtschaft erhöht, wie Schröder das fordert? Nicht mal auf der Regierungsseite besteht Einigkeit darüber, welches der richtige Weg ist – ob zum Beispiel die Lohnnebenkosten gesenkt werden sollen (Modell Ökosteuer) oder womöglich erhöht werden (Modell Frühverrentung ab 60).

In dieser Situation ist es ein kluger Schachzug, Problemdiagnose und mögliche Lösungsansätze erst mal durch Experten in Arbeitsgruppen angehen zu lassen. Dadurch stehen die Repräsentanten der Verhandlungsparteien nicht ständig im Rampenlicht, dadurch müssen sie ihrer Klientel nicht schnelle, aber womöglich nur vordergründige Erfolge präsentieren. Die Chance, daß Regierung, Arbeitgeber und -nehmer im Gespräch bleiben, war noch nie so groß wie heute. Nicola Liebert

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