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Was ist mit Bob?

Winterberg in Westfalen ist nicht nur größtes Skigebiet Hollands, Stätte enormen Wurstverzehrs und Bobfahrertreff, sondern schlicht die Welt, in der wir leben. Ein Spaziergang  ■ Von Wiglaf Droste

Winterberg (taz) – Auf dem Marktplatz von Winterberg gibt es ein kleines Denkmal. Hingegossen steht ein Mann mit Kiepenkasten auf den Schultern, Knotenstock in der Hand, Schirmmütze auf dem Kopf und Schnurrbart im Gesicht, der sich sichtlich bewegt von Frau und Tochter verabschiedet, denn er muß fort. Den Grund dafür liefert die Inschrift auf einer Tafel: „Von bäuerlichem Geblüt / für den Handel geboren / gingen Winterberger / in die weite Welt / Groß war die Not / Um sie zu lindern / setzten sie ihr Leben ein / Das soll ihnen / nicht vergessen sein“.

Heute geht es in Winterberg weniger dramatisch zu. Die 4.500 Einwohner leben recht kommod vom Tourismus – auch vom Wintersport. Ganz in der Nähe erhebt sich der Kahle Asten auf 842 Meter – für Westfalen ist das sehr hoch, und geradezu steil und gebirgig sind solche Höhen für die vielen Holländer, deren traditionelles Skigebiet das Sauerland ist. Selbst bei Temperaturen von plus zwei Grad Celsius und leichtem Regen sieht man nicht wenige Autos mit gelbschwarzen Nummernschildern, und auf den Skihängen, die allenfalls noch notdürftig mit Schneeresten bedeckt und mehr grünbraun als weiß sind, sieht man unverdrossene Menschen mehr oder weniger gelenk mit ihren Skistöcken hantieren und sich Riefen in ihre Skier rutschen.

Mitten im Skigebiet Kappe, in einem Wald von „Skilifte“-, „Skiverleih“- und „Zimmer frei“-Schildern, liegt die Bob- und Rodelbahn Winterberg. Man erfährt, daß man sich auf dem „Olympiastützpunkt Westfalen, Außenstelle Hochsauerland, Zentrale“ befindet, gleich bei der Sportschule der Bundeswehr. Die Kollegen vom Biathlon sind auch nicht weit: „Militärischer Sicherheitsbereich – Vorsicht: Schußwaffengebrauch“ steht auf einem Schild am Maschendrahtzaun.

Ein paar tausend Menschen bewegen sich den Hang hinauf zur Bahn. Auf einem großen Plakat steht schlicht „Faszination Sauerland“. Das muß es wohl sein.

Auf der Bobbahn sind die Spurschlitten unterwegs, die das Eis für die Wettkämpfer einfahren. Im „Sparkassen-Treff“, einem weißen Plastikzelt, spielt der „Musikverein Vosswinkel“ temperamentvoll Blasmusik; Sauerländer, also Leute, die schon morgens Schlachteplatte und Bratwurst aufnehmen können, frühstücken Spickbraten und greifen beherzt zum Bier. Bei aller Rustikalität aber weiß man sich voll auf der Höhe der Zeit: Würde jemand die „Sparkassen“- Tischdecken verbrennen, kann man auf den „Sparkassen“-Tischdecken lesen, entstünden „keine Schadstoffe und keine Schlacken“. Das ist gut.

Der erste Viererbob geht auf die Bahn – Lettland I. Die Stimmung an der Bande ist freundlich, ein paar Menschen haben kanadische Fahnen dabei, ein paar mehr schwenken Schwarz-Rot-Gold, ein gutes halbes Dutzend Jungmänner versucht hin und wieder La Ola. Wuchtig sprinten die Besatzungen der Bobs. Die Männer sehen aus, als seien sie aus Superhelden-Comics herausgefallen. Die deutschen Bobs heißen so wie die Inlandsressorts beim Spiegel: Deutschland I, Deutschland II, Deutschland III und so weiter. Deutschland I fährt an diesem Tag in beiden Durchgängen am schnellsten und holt Gold, Schweiz I bekommt Silber, Deutschland II teilt sich mit Österreich I Bronze, und der Spiegel hat den in jeder Hinsicht zu klein geratenen Reinhard Mohr ins Rennen geschickt und geht leer aus.

Meinen eigenen Triumph im Sauerland darf ich aus Gründen der Sorgfaltspflicht nicht verschweigen. Nachdem am Freitag Eckhard Henscheid im Rahmenprogramm der Bob-Europameisterschaft im Westdeutschen Wintersportmuseum Neuastenberg gelesen hatte – das Programmheft sprach von „Anecdotes and satire (in German)“, legte ich am Samstag abend im Holz- und Touristik- Informationszentrum Schmallenberg ebenfalls mit einer Lesung nach. Ich zitiere das Programmheft: „Text with satirist Wiglaf Droste (in German)“. Mein internationaler Durchbruch, I presume.

Wenn die Wolken tief hängen und der Nebel hoch steigt, bleibt nicht viel Platz, aber Platz genug für den Hochsauerlandkreis und seine Bewohner. Auf den Nummernschildern der Autos hier steht HSK – was mir ein freundlicher Schmallenberger so übersetzt: Hilfe, sie kommen. Die Botschaften an der Straße heißen „Aral. Alles super“ und „McDonald's Frühstück“. Sauerland: Das ist die Welt, in der wir leben. So ist sie wirklich, eine andere steht nicht zur Verfügung und ist auch nicht in Sicht, und Lebensbejahung ist harte Arbeit. Der Sauerländer weiß das.

Ich weiß das auch und reise ab. Der Regionalzug ist überfüllt mit schon früh am Nachmittag enorm viel Bier verzehrenden Menschen, die sich, ein volles Glas in der linken und die rechte Hand vor die offenbar ebenfalls volle Blase gepreßt, durch die Abteile quetschen und zu fremden Menschen glasigen Blickes das Wort „Tollette!“ sagen. „Die kommen alle aus Willingen“, stöhnt der völlig geschaffte Schaffner. Ich sehe ihn fragend an. „Ja, Willingen ist das Mekka der Kegler. Da können Tausende Menschen gleichzeitig kegeln.“ Das will ich sehen, beschließe ich, wie im Märchen „Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“. Aber das ist eine andere Geschichte.

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