: Das Material Berlin
■ Dokumentarhafte Spielfilme und fiktionalisierte Dokumentarfilme: Zum 20. Mal fand in Saarbrücken das Max-Ophüls-Filmfestival statt
Das ist doch alles Scheiße, was hier gebaut wird“, sagt ein illegaler Bauarbeiter in Hussi Kutlucans Film „Ich Chef, Du Turnschuh“. Das kann man als eine Art expressiven Leitsatz zum diesjährigen Saarbrücker Max- Ophüls-Festival lesen. Gleich reihenweise hatten sich Festivalbeiträge die Bundesbaustelle Berlin vorgenommen, weil in ihr so schön die Baustelle Leben als Metapher zum Vorschein kommt. Über den Hamburger Containerhafen und die Baugrube Potsdamer Platz landet in dem Film ein von Abschiebung bedrohter armenischer Asylbewerber schließlich als Zwiebelschneider im türkischen Restaurant. Ein einziges Dönerspießrutenlaufen. Immer wieder muß er von vorne anfangen, bis er bei der alten Frau Dutschke Unterschlupf findet – und sie sogar zum Tanzen bringt. Bedauerlicherweise aber nicht die Verhältnisse. Trotz einiger gelungener Szenen kann sich Kutlucan leider nicht entscheiden, ob er ein Melodrama oder eine Farce erzählen will. So bliebt es bei der Konstatierung des Bekannten: Ausländer gegen Asylanten, Türken gegen Armenier, deutsche Vorarbeiter gegen die internationale Drecksarbeiterschaft.
Realistischer ist da Eoin Moores Billigstproduktion „plus minus null“, ein „Inner City Road Movie“ über das Nachtleben der Baustelle Berlin. Hauptfigur ist Alex, eine Art Ossi-Proll-Slacker, der sich auch nachts dort rumtreibt, wo er tagsüber arbeitet. Dabei lernt er Svetlana und Ruth kennen, zwei Prostituierte, die aus unterschiedlichen Gründen ihrer nächtlichen Arbeit nachgehen. Svetlanas Aufenthaltsgenehmigung läuft in zwei Wochen ab. Danach muß sie wieder zurück nach Bosnien, wo sie sich mit dem verdienten Geld einen eigenen Friseursalon aufbauen will. Ex-Kindergärtnerin Ruth wartet dagegen auf eine Umschulungsmaßnahme. Einmal blicken Alex und Ruth gemeinsam sinnierend auf den nächtlich beleuchteten Baustellen-Moloch. „Wie dit alles ma aussehen wird, wenn's fertig ist?“ – „Groß. Und sauber.“ Doch solange es dort noch schmutzig und unübersichtlich ist, müssen schnell noch ein paar Filme gedreht werden.
Das haben sich auch Susann S. Reck („Allee der Kosmonauten“), Florian Gärtner („Drachenland“) und Petra Katharina Wagner („Oskar und Leni“) gesagt, die alle auf ihre Weise mit dem Material „Berlin“ spielen. Was in ihren Filmen heute an Ecken und Orten zu sehen ist, wird es morgen so nicht mehr geben bzw. gibt es zum Teil schon jetzt nicht mehr, so daß die Filme auch eine dokumentarische Qualität haben.
Überhaupt läßt sich beobachten, daß der Spielfilm jenseits des Mainstream – denkt man etwa an die dänischen Dogma-Filme – immer dokumentarischer wird, und der Dokumentarfilm immer offener inszeniert wird – wie etwa in Michael Glawoggers „Megacities“, einem ethnographischen Eineinhalbstunden-Clip, der „12 Geschichten vom Überleben“ in den Metropolen dieser Welt erzählt und dafür eine Einladung des renommierten Sundance-Festivals erhielt.
„Was ist ein Dokumentarfilm – Ein Plädoyer für das Leben, ganz egal, wieviel Wirklichkeit es zeigt.“ Zu diesem Schluß kommen Jan Sebening und Daniel D. Sponsel in ihrem Filmessay „Der letzte Dokumentarfilm“, der Dokumentarfilm-Geschichte, Methodenreflexion und neue Medien virtuos miteinander in Beziehung setzt und mit sympathisch-„naiver“ Offenheit über die Revolutionierung der Sinne durch das Medium Film räsonniert. „Das Wunder, das Sehen sichtbar machen zu können, veränderte die Welt.“
Saarbrücken gilt zu Recht als das Forum für den deutschsprachigen Nachwuchs-Film. Hier zeigte Tom Tykwer seinen Erstling „Die tödliche Maria“, Dani Levy setzte nach „Du mich auch“ seine Karriere mit „RobbyKallePaul“ fort. Es wurden aber auch Filme aus der DDR einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. 3 der 18 Wettbewerbsfilme stammten diesmal von türkischen bzw. kurdischen Regisseuren, einer von einem gebürtigen Iren (Eoin Moore).
Yüksel Yavuz' „Aprilkinder“ zeigt in genauen und unspektakulären Bildern das Leben einer kurdischen Familie in Hamburg, das den ältesten Sohn der Familie, Cem, in eine ausweglose Situation führt, als er, kurz bevor er mit seiner Cousine verheiratet werden soll, die deutsche Prostituierte Kim kennen und lieben lernt. Eine Liebesgeschichte, die dadurch, daß sie von vorneherein keine Chance hat, nur um so zwingender wird.
Was passiert, wenn die Jugend zu Ende geht und in Südfrankreich die Landschaft erblüht, zeigt Christian Riss' aufwühlendes Landhaus-Kammerspiel „Ende des Frühlings“. Vier Personen räumen ein Haus aus, finden Gegenstände aus einem vergangenen Leben. Wie sich im Leben einrichten? Getrennt fahren sie nach Hause: mit dem Zug, mit dem Flugzeug, mit dem Möbelwagen. Mit sich selbst. Jeder hat so an seinem Gepäck zu tragen. „Die Kamera existiert, um eine neue Kunst zu schaffen und auf der Leinwand zu zeigen, was man sonst nicht sehen kann: weder auf der Bühne noch im Leben“, befand der große Max Ophüls. Solange die Bilder laufen, kann das so stehen bleiben. Der deutsche Film bleibt, so das Zwischenergebnis aus Saarbrücken, in Bewegung. Axel Henrici
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