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Was die Leute wollen sollen

Achtmal werden wir noch wach, dann feiert das Musical „Jekyll & Hyde“ Premiere: Der an vielen Stadttheatern als Abonnentenschreck geltende Regisseur Dietrich Hilsdorf antwortet auf Fragen  ■ von Jens Fischer

Werbefeldzug in der Endphase. Auf Straßenbahnen, Flaggen, Plakatwänden, in Schaufenstern, an Bushaltestellen: Überall prunkt schwarz-rot das Titelmotiv eines 65 Millionen Mark teuren Theaterereignisses, das Bremen zur Musicalstadt adeln soll – gerade jetzt, da die Branche nach etlichen Pleiten (Offenbach, Berlin, Frankfurt, Köln, ...) in eine Rezession schliddert, die selbst die Produkte des Marktführers Stella AG betrifft. Trotzdem: Kein Medium, das jetzt nicht Platz für hoffnungsfrohe Vorberichte freiräumt. Da wollen wir nicht zurückstehen und betreten den Ort der ökonomischen Heilserwartung. 80.000 Übernachtungen zusätzlich erhofft sich die Bremer Touristikzentrale noch in diesem Jahr durch „Jekyll & Hyde“, das am 19. Februar im neuen Theater am Richtweg Premiere feiern wird. Wir sprachen mit dem Regisseur Dietrich Hilsdorf zu Probenbeginn Anfang November und jetzt zu Probenende. Im folgenden soll der Best-of-Mix der Gespräche einen Eindruck von dem Projekt und dem künstlerisch Verantwortlichen vermitteln.

taz: Herr Hilsdorf, Sie gelten nicht als willfähriger Regisseur, der dem Unterhaltungsseichtsinn zuarbeitet. Wie kommen Sie trotzdem zu dem Job, ein solches Musical zu inszenieren?

Dietrich Hilsdorf: Als ich vom „Jekyll & Hyde“-Team zum Wettbewerb mit anderen Regieteams eingeladen wurde, reizte mich der Wettstreit, und ich habe meinen Bühnenbildner Hannes Leiacker von der Idee überzeugt: Wir gewinnen das Ding und sagen dann ab. Dann gewannen wir, und sagten alles andere ab, beispielsweise die Anfrage von Klaus Pierwoß, am Bremer Theater Verdis „Otello“ zu inszenieren.

Warum haben Sie nicht dem Musical abgesagt?

Mal was anderes wollte ich kennenlernen – als Herausforderung, auch von der Arbeitsweise her. Mal nicht als Stadttheatertyrann immer sagen zu können, so wird's gemacht, sondern als ein Rädchen in einem Betrieb zu funktionieren.

Was gab den Ausschlag zu Ihren Gunsten?

Ich glaube, die Tatsache, daß ich total das Handwerk kann, viel Erfahrung habe und immer für eine Überraschung gut bin. Und es gefiel dem Produktionsteam, daß wir nicht das übliche Prospekt-hoch-und-runter-Konzept umsetzen wollten, sondern wirkungsvolle Räume und Psychologie entwickelt haben, um jedweden Revuecharakter zu vermeiden. Die Produzenten wollten nicht das 20. Musical, das die 19 vorhergehenden nachbetet.

Verstehen Sie die Kritik der Bremer Kulturszene, die Steuermillionen des Projekts lieber den bereits etablierten Kulturträgern zur Verfügung zu stellen?

Nein. Hier in Bremen wurde ein Theater neu gebaut und das alte nicht zugemacht, sondern es kann sich im Gegenteil gegenüber dem Musical deutlich profilieren.

Sie suchen sonst eher die Aktualität in klassischen Dramen und Opern, was reizt Sie an „Jekyll & Hyde“?

Da gibt's so viele Filme, das ist ein weltbekannter Stoff, aber die 110 Jahre alte Stevenson-Geschichte hat niemand gelesen. Ich wollte an dem Mythos dieses Stoffes ein wenig graben. Ich habe mir „Jekyll & Hyde“ auch als Comic, Hard-Core-Porno, Kinderbuch, illustrierte Lektüre besorgt, mir alle Verfilmungen angeguckt und mich über die Zeit informiert, um eine gewisse Genauigkeit in der Inszenierung zu erreichen.

Wie paßt die Fast-Food-Musik dazu?

Sie ist aus dem letzten Jahrzehnt, hilft wie ein Film-Soundtrack die Geschichte aus dem letzten Jahrhundert zu transportieren. Und da sind echte Ohrwürmer dabei, sehr sicher auf Wirkung hin komponiert, nie so platt wie der Lloyd-Webber-Käse. Klar sind da auch Duette drin, die sind einfach nur Gesülze, die würde ich gerne rausschmeißen, aber der Dirigent sagt, das sind die Hauptnummern, da jubeln und heulen die Leute. Naja, da es wohl verkaufsfördernd ist, lassen wir sie drin. Ich kann mich ja auch nicht drüber lustig machen oder das Genre Musical einmal vorführen, damit würde ich mich ja auch über die Leute lustig machen, die für den Abend 120 Mark bezahlt haben. Wir müssen immer berücksichtigen, daß jeden Abend 1.500 Plätze zu füllen sind. Und da bin ich mitverantwortlich, auch für die Millionen, die für dieses Musical ausgegeben werden. Aber natürlich habe ich der Produktion meinen Stempel aufgedrückt.

Wie gehen Sie dann mit den nicht so geschätzten Duetten um: kitschsatt inszenieren oder ironisch brechen?

Vor allem das unsägliche Frauenbild des 19. Jahrhunderts in den Duetten will ich aufrauhen. Ich möchte die Frauen weniger als leckere Dreingabe, ich möchte sie stark zeigen. Und gegen das Gesülze soll eben die Erotik erspielt werden, die die Frau ja für den Mörder empfindet, ohne zu wissen, daß Jekyll auch Hyde ist. Das ist diese sophoklische Ironie des Ödipus, der sagt: „Ich werde den Mörder finden“, und das Publikum weiß im Gegensatz zu Ödipus, er ist selbst der Mörder.

Ansonsten inszenieren Sie nach dem Motto: Wes' Brot ich eß ...?

Ja, auch im Stadttheater denke ich jetzt so. In Düsseldorf habe ich kürzlich „Maria Stuart“ gemacht und zuvor gefragt: Wie hättet Ihr es denn gern, braucht Ihr einen Klassiker für die Schulen, braucht Ihr einen Publikumshit, soll ich auf Reibung inszenieren?

Der autonome Künstler ist in Ihnen nicht mehr wach?

Doch. Aber ich mache hier das, was ich immer mache: Theater. Ich will Geschichten erzählen, nicht Kunstvorgänge.

Sie interessieren sich mehr für den filmischen Handlungsfluß als für den Inhalt?

Erst mal die Handlung. So halte ich auch Stephen Frears „Jekyll & Hyde“-Verfilmung „Mary Reilly“ für die beste. Im Kino ein totaler Flop, aber wunderbar wie da ohne Effekte und Grusel in dunklen Bildern, ganz konzentriert auf die Figuren, erzählt wird.

Aber das ist doch Ihre Situation. Mit dieser psychologischen Konzentration füllt man keine 1.500 Plätze. Das Musicalpublikum ist ja eines, das nicht ins Stadttheater geht und ganz andere Ansprüche ans Ausgehen stellt als der Bildungsbürger. Feuerwerk, berechenbarer Grusel, Gefühligkeit, Sentimentalität statt Tragik. Umfragen haben ja auch ergeben, das Publikum wolle den bösen Hyde freundlicher. Wie gehen Sie mit solchen Vorgaben um?

In Hollywood werden Filme ja auch umgeschnitten, wenn sie in den Voraufführungen dem Publikum nicht gefallen. Nun will ich aber beweisen, daß ich eine kommerzielle Produktion hinkriege, die nicht vollends banal ist. Aber ich mache ja nicht nur das, was das Publikum will, ich will es davon überzeugen, was es wollen soll. Klar, Kompliziertheit, Albernheit, Rundumschläge, im Stadttheater kann man weniger Leuten mehr zumuten. Für „Jekyll & Hyde“ habe ich nun viele Zeichen inszeniert, schwer zu entschlüsselnde fürs Bildungsbürgertum und die leichten für die anderen. Ich will, daß die Leute sich nicht unter ihrem Niveau amüsieren. Meine Frau wird trotzdem bei der Premiere sagen: „Warum machst du so einen Käse?“

Also doch Hilsdorf light?

Nein, ich würde gerne weiter solche Unterhaltungsware machen, aber auch Sachen für acht Zuschauer, was Elitäres, Komplexes.

Sie sind der geschmäcklerische Dr. Jekyll und der künstlerisch provokante Hyde unter den Regisseuren?

Ja, ich will mich da teilen. Das lerne ich gerade. Mein Assistent führt eine Liste, auf der alles notiert ist, was ich hier in Bremen nicht inszenieren darf. Der künstlerische Leiter ist mein Chef, der mir sagt, was geht und was nicht. Es gab da echte Hilsdorf-Ideen, die ich nicht machen darf. Ich werde sie aber bestimmt in meiner nächsten Operninszenierung (“Maskenball“ in Essen; Anm. d. Red.) zeigen.

Wie dick ist das Buch der verbotenen Ideen am Ende der Proben?

Gar nicht so dick, ich habe mich bald schon gar nicht mehr getraut, was vorzuschlagen.

Und wieso ist es dann noch Ihre Inszenierung?

Wir haben ein abstraktes Pop-Art-Bühnenbild durchgesetzt, arbeiten wie Peter Brook mit großen leeren farbigen Räumen, die sind viel spannender, geheimnisvoller als Ausstattungsopulenz, da sie vom Publikum mit Fantasie gefüllt werden müssen, und jede kleine Geste um so größer wirkt. Diese Art des Armen Theaters im Sinne von Grotowski ist allerdings enorm teuer, allein die computergesteuerten Bewegungen der Bühnenbildquader kosten sehr viel.

Wie behaupten sich die Musicaldarsteller darin, die ja meist besser tanzen und singen als schauspielern können?

„Jekyll & Hyde“ ist zwar ein Gebrauchstext, teilweise wörtlich von einem Hollywood-Drehbuch abgeschrieben (“Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, 1931, Regie: Ruben Mamoulian; Anm. d. Red.). Trotzdem kann man am Gestus der Sprache arbeiten. Ich gehe da wie an Strindbergs „Der Vater“ ran, habe viele Textproben angesetzt, um eine Haltung zum Text, um Psychologie zu vermitteln. Bei mir kommen auch Musicaldarsteller zur Genauigkeit des Schauspiels.

Welcher Inhalt soll derart erspielt werden?

Wir wollen zeigen, es gibt nicht Gut und Böse, wir wollen diese Trennung aufheben und die von Reich und Arm betonen sowie einen manischen Wissenschaftler portraitieren, der mit Versuchen am lebenden Menschen scheitert.

Hat die Motivation, einen Erfolg zu inszenieren, auch eine finanzielle Komponente?

Ich sage mal so: Ich hoffe „Jekyll & Hyde“ läuft sehr, sehr lange.

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