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Knast oder Spülmaschine

■ Die Macht des Faktischen ist stärker als ein Traum: Thomas Arslans zweiter Film, "Dealer"

Er wollte keinen konstruierten Authentizismus, sagt Thomas Arslan nach der Vorführung von „Dealer“. Und auch die Einreihung in die jüngsten türkisch-deutschen Filme wie „Aprilkinder“ oder „Kurz und schmerzlos“ interessiere ihn nicht so sehr. Vorbilder? Arslan nennt Namen wie Rosselini, Neorealisten.

Tatsächlich zeigt „Dealer“ eine Art neuen sozialen Realismus. Arslan traut seinen Figuren und seinen ruhigen Bildern. Er verzichtet auf Action und Wortgefechte weitgehend, er schildert uns aus der irgendwie exakt richtigen Entfernung ein Lebensgefühl, einen Zustand von Jugendlichkeit, der noch einen Haufen Möglichkeiten für die Zukunft vorgaukelt. Can ist Kleindealer und wird von den Bullen verfolgt. Und die bieten ihm – ganz wie im wahren Leben – ebenfalls einen Deal an. Pack aus, Junge, lern was Vernünftiges, sonst sacken wir dich ein. Hier ist meine Karte, sagt der Zivi, du kannst mich immer anrufen. Der Bulle, dein Vater und Wegweiser ins bürgerliche Leben. Überleg's dir!

Und wenn wir keine Drogen in deiner Tasche finden, schieben wir dir welche unter. Can packt aber nicht aus. Sein Mittelsmann, noch so eine Vaterfigur, wiederum glaubt das nicht, wird mißtrauisch. Findet das nicht so gut, was er da im Kiez hören muß: „Du triffst dich mit den Bullen? Was hast du ihnen gesagt?“ Die ganz normale Dealer-Paranoia eben. Doch Can hat sowieso keine Lust mehr, den Kleindealer zu machen. Will Karriere machen. Sein Chef sagt ihm die Geschäftsführung eines „total toten“ Ladens zu, in Kreuzberg, Oranienstraße. Arslans Kreuzberg ist einem so wenig fremd, daß man fast Angst bekommt.

Wenn hier in den Hinterhöfen wirklich Dreck liegen sollte, muß es Goldstaub sein oder Heroin. Can geht seinen Weg. Seine Freundin verläßt ihn, sein Dealer wird erschossen (auch dies großartig schlicht inszeniert), und Can denkt sich: Okay, versuchen wir's doch mal mit Arbeit. So steht er plötzlich an der Spülmaschine.

Arslans lange Einstellungen, ob von Spülmaschinen oder Hochhausdurchgängen, vermitteln: Die Macht des Faktischen ist stärker als dein Traum. Knast oder Küchenschabe, und die andern fahren im BMW rum. Nach „Geschwister“ ist dies Arslans zweiter Film über die dritte Generation der in Deutschland lebenden Türken. Die Besonderheit dieser Filme wird einem dann bewußt, wenn man an all die Kunstmenschen des neuen deutschen Mainstream- Films denkt, die Leben spielen möchten. Warum eigentlich sind solche Filme bei uns so selten? Am Ende sehen wir einen grünen Park und keine Gitter. Aber wir sind längst Gefangene, wie Can. Andreas Becker

Forum: Akademie der Künste, Sa., 13.2., 22.15 Uhr

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