: Die Gummis und die Ingenieure
Die Handhabung biegeschlaffer Teile ist noch immer nicht gelöst. Die störende Hierarchie der Härte – eine Zehnjahresbilanz von der Hannovermesse ■ Von Dietmar Bartz
Berlin (taz) – Fehlt ihnen die Spannung , hängen sie durch. Steigt die Temperatur, droht Erweichung. Sie lassen sich enorm in die Länge ziehen, aber nur schlecht in Ecken drücken. Wenn der Griff einer Hand nicht genau kalkuliert ist, werfen sie Wellen und verdrillen.
Die Handhabung biegeschlaffer Teile stellt eine der letzten Herausforderungen an die deutsche Ingenieurskunst dar. Biegeschlaffe Teile QP unter dieser Bezeichnung fassen die Rationalisierer und Automatisierer Gummis zusammen: nachgiebige Wasserschläuche, weiche Türdichtungen, dünne Kabel und schlüpfrige Dichtringe. Milliarden von ihnen werden jährlich in Autos, Waschmaschinen und Staubsauger montiert. Doch obwohl die Fabriken heutzutage mit Industrierobotern vollgestopft sind, machen diese Arbeit Menschen. Denn Gummi verweigert sich beharrlich dem stählernen Griff. Seit mehr als zehn Jahren werden auf der Industriemesse in Hannover Verfahren zur automatisierten Handhabung vor allem von Dichtgummis ausgestellt, doch kaum eines der Machbarkeitsversprechen hat eingehalten werden können. Dichtung und Wahrheit liegen auch im Goethe-Jahr weit auseinander.
Im Gegenteil: „Vieles wird ausgespart und mit Ehrfurcht umschwiegen“, wußte bereits der Altmeister. Und die Roboter, sonst Inbegriff des Fortschritts, versagen.
Beispielhaft für die Grenzen der Technik sind die Bemühungen des Fraunhofer-Instituts für Produktionsautomatisierung (IPA) in Stuttgart. Unter Laborbedingungen gelang den Ingenieuren 1989 die Fügung „Schlauch auf Stutzen“ (siehe taz vom 11. 4. 89) – wenn ein Arbeiter einen Kühlschlauch an einem Motor befestigt, hat er nach wenigen Jahren kaputte Gelenke. Aber für die Befestigung der Schelle braucht es wiederum den Menschen. Die automatisierte Fügung setzt aber auch voraus, daß das Gummi automatisiert in die Roboterhand gelangt – und dafür gibt es bis heute keine einleuchtende Lösung. Denn Gummiteile werden in großen Kisten angeliefert, liegen dort durcheinander und sind, weil meist schwarz oder dunkelgrau, kaum zu erkennen. Bildverarbeitungssysteme, die die Stahlfinger steuern könnten, versagen reihenweise. Die Branche ist neugierig, ob dem IPA der Techno-Overkill beim „Griff in die Kiste“ gelingt: In diesem Jahr will es ein sechsdimensionales Erkennungssystem vorstellen, mit dem für BMW Gummiteile ergriffen werden sollen.
Denn Zwist herrscht unter den Ingenieuren. Weil nämlich die Gummiprodukte meist in einer stählernen Umgebung montiert werden müssen, bedarf es einer engen Absprache, wie man beide Produkte optimal füreinander konstruiert. Hier stört die Hierarchie der Härte. Denn Metaller pflegen die „Gummimänner“ gelegentlich nicht ganz ernst zu nehmen. Im ironischen Streitgespräch tun Maschinenbauer selbst die wichtigste Eigenschaft des Gummis, seine Nachgiebigkeit, triumphierend ab: „Stahl ist biegsamer als Gummi!“
Unbestritten ist das gesellschaftliche Ansehen von Metall – größer als das von Kunststoffberufen. Die traditionelle Hegemonie der Metaller in den Ingenieurswissenschaften und die unüberwindbare Ideologie, Industrie- als Nationalleistung zu betrachten, tut ein Übriges: Haben nicht Maschinen und ihre Produkte die Industrienationen begründet, während die Chemie in diesem Jahrhundert nur ein paar feudale, sündhaft wohlhabende Ölscheichtümer und -königreiche entstehen ließ. Noch weniger wichtig ist die eigentliche Gummibranche, die sich nur einen einzigen Staat zurechnet: Liberia, wo der US-Reifenkonzern Firestone ab 1926 die größte Gummmiplantage der Welt anlegte. Doch selbst hier siegte, bevor das Land im Krieg versank, das Metall: Die Ausbeutung von Eisenerz-Lagerstätten ließ den Export von Naturkautschuk schnell bedeutungsloswerden.
Aber die Branche ist auch stolz: „Gummi ist zäh, und wir Gummileute sind auch zäh“, trompetet ein Verbandsmann. Und mit einer Spur Verachtung formuliert ein Hochschulprozessor im Süddeutschen: „Gummi bietet viel komplexere Herausforderungen als jedes Metall.“ Der „Drubbel“, die tabellenstrotzende Bibel des Maschinenbauingenieurs, enthält nicht einmal die Gummireibweite, die doch sozusagen als kanonische Bedingung der Montage biegeschlaffer Teile gelten können. Denn schon die einfachsten Reibwerte können nur noch experimentell festgestellt werden.
Sicher gehört die Handhabung der Gummis nicht zu den Problemen, unter denen eine mitteleuropäische Industriegesellschaft am Ende des Jahrtausends unbedingt ächzen muß. Aber sie hat etwas Paradigmatisches. Modische Attitüden, Begrenztheit des Wissens, verborgenes Scheitern – würde sich die Industrie überall so wenig fehlerbewußt zeigen wie hier, es wäre nichts gewonnen gegenüber den 50er Jahren, als Altbundespräsident Heuss formulierte, als wolle er den Ingenieuren auf der Hannovermesse ein Geleitwort geben: „Qualität ist das Anständige.“
Bartz, taz-Wirtschaftsredakteur von 1988 bis 1991, heute Chef vom Dienst bei „mare“
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