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Hin und her gejagt wie Vieh

In Angola sind die Unita-Rebellen auf dem Vormarsch an die Küste, Hilfsorganisationen schmieden Evakuierungspläne, die Flüchtlinge bilden Bürgerwehren  ■   Aus Sumbe Kordula Doerfler

Die Lastwagen stehen vollgetankt vor der Tür. Jeden Tag kann es so weit sein. Im Konvoi würde die Fahrt bis zur Hauptstadt mindestens eine halben Tag dauern. Aber vielleicht erobern die Unita-Rebellen vorher schon die Küstenstraße. Dann bliebe nur noch das Schiff. Noch ist Sumbe, eine kleine Hafenstadt etwa 400 Kilometer südlich von Luanda, friedlich. Doch die Rebellen sind nur noch 60 Kilometer von der Küste entfernt. Mehrere nahe Orte sind umstellt. Reinhild Roeder hat ihren „Notkoffer“ schon gepackt. Das Büro der Deutschen Welthungerhilfe in der Provinz Kwanza Sul, das sie seit drei Jahren leitet, steht kurz vor der Evakuierung.

An diesem Tag herrscht Aufregung in der Stadt: Auf einer schmalen Hängebrücke ist ein Lastwagen der Armee mit einem zivilen Lastwagen zusammengestoßen und in die Tiefe gestürzt. Am wahrscheinlichsten scheint, daß der Armeelaster sich einfach die Vorfahrt nahm, in der sicheren Annahme, daß der andere schon bremsen würde. Beide Fahrzeuge stürzten in einen Wasserfall, nur zwei Menschen überlebten. 40 Soldaten starben, die die Regierung dringend gebraucht hätte, um „dem Feind“ ins Auge zu blicken.

Der Feind erweist sich als überraschend stark. Das Kalkül von Angolas Präsident Eduardo dos Santos ist nicht aufgegangen. Im Handstreich wollte er Unita-Chef Jonas Savimbi im Dezember mit ein paar Angriffen ein für allemal schlagen. Savimbi aber war stärker als je zuvor. Nun herrscht in Angola nach vierjährigem fragilen Frieden wieder Krieg.

Die Bevölkerung wird nur wenig informiert. „Die Leute sollen nicht noch mehr beunruhigt werden“, sagt ein Mitglied der Regierungspartei MPLA in Sumbe. Grund zur Beunruhigung gäbe es angesichts der Unita-Vormärsche allerdings schon. Zudem ist eine humanitäre Katastrophe im Gange. Über 800.000 Menschen waren bis Mitte April wieder im eigenen Land auf der Flucht, schätzt die UN-Koordinationsstelle für Humanitäre Hilfe (UCAH) in Luanda. Sie kommen zu den rund 500.000 Flüchtlingen hinzu, die schon nach Ende des letzten Krieges 1994 nicht nach Hause zurückgekehrt waren. „Die Lage ist sehr, sehr ernst“, sagt UCAH-Sprecher Fernando da Costa Freire, „und die Aussichten für die nächsten Monate sind deprimierend.“

Nicht viel anders sehen das auch die Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe, die derzeit noch in den zentralen Küstenprovinzen Bengo, Kwanza Sul und Benguela humanitäre Hilfe leisten. Vergangenes Jahr konnten einige Flüchtlingslager geschlossen werden, die letzten Familien waren endlich auf dem Weg zurück in ihre Dörfer. Doch seit Ende 1998 versorgt allein die Deutsche Welthungerhilfe wieder rund 70.000 Flüchtlinge in Angola.

„Was wir jetzt noch tun können, ist nur noch reine Nothilfe“, sagt Projektleiter Bruno Friedrich in Luanda. 12 Kilo Mais, 1,8 Kilo Bohnen, einen Dreiviertelliter Öl und etwas Salz werden pro Person und Monat verteilt. Das reicht, um zu überleben. Doch die Bedingungen in den Lagern sind hart, Krankheiten und Unterernährung sind vor allem bei Kindern weit verbreitet. „Das Essen reicht nicht“, klagt Madalena Domingo im Lager Cabambe, etwa 70 Kilometer außerhalb von Luanda, „und das Wasser hier ist schlecht.“ Ihr rechter Fuß ist dick angeschwollen von einer Infektion, die bislang nicht behandelt wurde. Im August floh sie mit ihren sechs Kindern vor dem Krieg und ließ das wenige zurück, was sie besaß. Doch das Leben zu Hause war immer noch besser als im heißen, staubigen Lager.

Caxito, Hauptstadt der Provinz Bengo, ist eine der wenigen Provinzhauptstädte in Angola, die überhaupt noch mit dem Auto angefahren werden können. Fast alle anderen sind nur noch mit UN-Hilfsflügen erreichbar. Die sind gefährlich und teuer, seit Ende 1998 zwei UN-Flugzeuge abgeschossen wurden. 15.000 US-Dollar kostet allein die Versicherung für eine Herkules-Frachtmaschine, die etwa 15 Tonnen Hilfsgüter transportieren kann.

Und was sich außerhalb der Städte im Unita-Gebiet abspielt, weiß derzeit niemand genau. Weder Hilfsorganisationen noch Journalisten sind dort erwünscht. Die Menschen in den Flüchtlingslagern allerdings wissen Bescheid. Geschichten von der Grausamkeit der Unita machen dort die Runden, von brutalen Massakern und entvölkerten Landstrichen. „Wir benutzen ein Läufersystem“, erklärt Guillerme Jordão in einem Lager in der Nähe von Sumbe: Boten mit Nachrichten aus dem Busch laufen etwa zehn Kilometer zu Fuß und geben dann ihre Botschaft an den nächsten weiter. Das ist zuverlässiger und meist auch schneller als die staatlich kontrollierten Medien, die nur berichten dürfen, was die Regierung zuläßt.

Jordão ist ein „Soba“, ein Häuptling. Als solcher weiß er genau, wie viele Menschen in welchem Lager leben, denn er verteilt das Land, auf dem die Flüchtlinge ihre einfachen Hütten aus getrockneten Lehmziegeln bauen dürfen. Mehr als 4.000 wohnen derzeit in seinem Hoheitsbereich, und rund 3.000 sollen aus den Bergen in Richtung Küste unterwegs sein. Jordão selbst ist schon seit mehr als zehn Jahren auf der Flucht. 1992 ging er zurück in sein Heimatdorf, mußte jedoch sofort wieder fliehen. Ähnlich geht es Hunderttausenden in Angolas ländlichen Gebieten. Bei einer Lebenserwartung von durchschnittlich 40 Jahren kennt eine ganze Generation nichts anderes als Krieg und wird zwischen den wechselnden, oft unsichtbaren Fronten eines grausamen Buschkrieges hin und und her gejagt wie Vieh.

Die Aussichten auf Rückkehr sind schlecht. „Es herrscht große Verzweiflung“, sagt Jordão. Dennoch ist er überzeugt, daß die Regierung nun endlich militärisch aufräumen wird mit dem Feind. Für den Fall, daß der es bis an die Küste schafft, haben die Flüchtlinge Waffen und eine „Guardia Civil“, eine im Schnellverfahren ausgebildete Bürgerwehr.

Vor der Grausamkeit der Unita haben alle Angst. Eltern mußten ihre eigenen Kinder festhalten und zusehen, wie sie bestialisch mit Macheten zerstückelt wurden, erzählt Jordão. Über den kleinen Dorfplatz im Lager legt sich in der bleiernen Hitze gespenstische Stille, während die Männer ihre Geschichten erzählen.

Costa Cabingana sagt, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie Unita-Kämpfer in seinem Heimatdorf Polizisten brutal ermordeten. Das gesamte Dorf flüchtete in Panik, fast 900 Menschen brachten sich auf einem mehr als zweiwöchigen Gewaltmarsch durch den Busch an die Küste in Sicherheit. Hoffnung auf Frieden hat der 43jährige kaum noch. Seine Lebensgeschichte steigert sich zu einem unerschöpflichen erregten Redeschwall, die Jahre und die zeitliche Abfolge von Ereignissen geraten ihm durcheinander. Sein halbes Leben ist Cabingana auf der Flucht. Vier Jahre war er in Unita-Gefangenschaft, jetzt ist er wieder geflohen.

Die Geschichten von bitterer Armut und jahrelanger Flucht passen nicht zur Regierungspropaganda vom raschen Aufräumen mit Savimbi. Noch sagt man es lieber nicht so laut, aber kaum jemand glaubt an einen kurzen Krieg. Auch die Mitarbeiter vieler Hilfsorganisationen sind desillusioniert. Beide Kriegsparteien verfügen über fast unbegrenzte finanzielle Mittel: die Regierung hat die Milliardeneinnahmen aus den Ölfeldern schon auf Jahre hinaus verpfändet, die Unita verdient ein Vermögen an den von ihr kontrollierten Diamantenvorkommen. Die hungernde und bettelarme Bevölkerung überläßt man anderen: Ausdrücklich erklärte Präsident Eduardo dos Santos, die humanitären Organisationen der UNO dürften auch nach dem Ende der UN-Mission im Land bleiben. „Während wir die Menschen durchfüttern, halten wir denen den Rücken für den Krieg frei“, sagt ein Mitarbeiter des UN-Welternährungsprogramms bitter.

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