: All American Negro
Ein Künstleraristokrat mit Imagekompetenz: Duke Ellington schrieb den Soundtrack zur afroamerikanischen Geschichte. Heute wäre er 100 geworden ■ Von Christian Broecking
Er komponierte den Soundtrack zur afroamerikanischen Geschichte dieses Jahrhunderts. In fast 2.000 Musikstücken formulierte Duke Ellington, was die amerikanische Gesellschaft seiner Meinung nach über sich selbst hören und wissen sollte. Was sich dabei wie ein roter Faden durch das Werk Ellingtons zieht, das hat der afroamerikanische Schriftsteller Albert Murray zum Thema zahlreicher seiner Essays gemacht: der heroische Lebensstil schwarzer Amerikaner, die, angesichts und trotz jahrhundertelanger Entrechtung, eine mutige, komplexe und lebensbejahende Kultur schufen, die sich in Sprache, Religion, Sport, Moden, Speisen und Tanz, vor allem aber eben in ihrer Musik ausdrückt.
„Das Radikalste, was ein braunhäutiger Amerikaner tun kann, ist, nett auszusehen, gut gekleidet zu sein, gute Manieren zu haben und eine gute Ausbildung vorweisen zu können; das ist der gefährlichste Hurensohn in diesem Land!“ So Albert Murray. Ellington war in diesem Sinne Murrays Superhero. Denn Ellington war stolz, selbstbewußt, elegant und eloquent, kurz: Ellington war Duke, The Man. Kühn zeigte er in Talkshows jenen Moderatoren die rhetorische Harke, die ihn gerne zu dem degradieren wollten, was er nach sozial geltenden Normen fast sein ganzes Leben lang war: ein Schwarzer eben. Einer, der zwar den amerikanischen Traum leben durfte, aber eigentlich immer damit rechnen mußte, sich dafür rechtfertigen zu müssen.
Vor hundert Jahren als Edward Kennedy Ellington in eine bürgerliche schwarze Mittelschichtsfamilie geboren, lernte er das Leben von der behüteten Seite kennen, von der Familie wie von der Community. Denn Washington, sein Geburtsort, galt Anfang dieses Jahrhunderts als die intakteste schwarze Gemeinde in den USA. Heute mag ein Populist wie Louis Farrakhan, Führer der Nation of Islam, die Massen mit aggressiven Parolen mobilisieren, mit verklärten Visionen von einer segregierten Community, die über eine eigene Infrastruktur von Unternehmern, Ärzten und Rechtsanwälten verfügt und einfach stolz darauf ist, „black“ zu sein. Zu Ellingtons Zeit hieß „black“ noch „negro“, und für ihn galt zeitlebens die Betrachtung des Literaten Ralph Ellison, daß jeder weiße Amerikaner mindestens auch zur Hälfte „negro“ sei.
Obszöne Bläsersätze für die weiße Göttin
Als Duke Ellington Mitte der zwanziger Jahre nach New York ging, spielte er zunächst vornehmlich in Kneipen, in der Weiße wie Schwarze bedient wurden; diesen „black and tans“ genannten Läden widmete er später seine Komposition „Black and Tan Fantasy“. Harlem avancierte in dieser Zeit, Anfang der Zwanziger, gerade zum kulturellen Epizentrum der schwarzen Kultur. Duke Ellington befand sich von Anfang an mitten im Zentrum des Geschehens. Genauer gesagt im Cotton Club, wo das Duke Ellington Orchestra zwischen 1927 und 1931 fast durchgängig engagiert war. Hier war fast ausschließlich weißes Publikum zugelassen – ausgenommen einige schwarze Celebrities, für die ein paar Stühle im hinteren Bereich reserviert waren. Die Besitzer waren weiß, das Personal, die Tänzer und Musiker hingegen schwarz. Im Cotton Club wurde in den zwanziger Jahren der Afrikakult zelebriert, und „African Craze“ war hip in jenen Blütetagen der Harlem Renaissance. Hier entwickelte Ellington den sogenannten Jungle-Stil. Passend zu wirren Revuenummern, in denen ein gutgebauter hellhäutiger Schwarzer mit Pilotenhelm und Shorts durch einen Pappmachédschungel „mitten im tiefsten Afrika“ prescht und auf eine goldlokkige „weiße Göttin“ trifft, die von einer Runde „unterwürfiger Neger“ angebetet wird. Der Pilot rettet die Blonde, während im Hintergrund die Ellington-Bläser auf ihren Instrumenten „knurren, schnaufen und schnauben“. In „obszöner Weise“, wie der Jazzhistoriker Marshall Stearns es einst beschrieb.
Swing war, als Ellington populär wurde, auch Rebellion gegen die Konventionen. Die Swinger waren jung und anders, ihre Kleidung, ihr Tanz, ihr Lebensgefühl „fine and dandy“, ihre Musik neu und wild. Theodor W. Adorno nahm Jazz deshalb eher als Mode wahr denn als Kunstform, und er verteidigte zeitlebens den Konzertsaal gegen den Jazz. Bestenfalls mochte er im Swing ein Defizit erkennen – ein Diktum, das vor allem in Deutschland lange nachwirken sollte. In den USA dagegen stieg Ellington allmählich in den Rang einer Ikone auf.
Sinfonisches Gesamtwerk schwarzer Kultur
1929 schon wurde Duke Ellington in dem Film „Black and Tan“ gefeatured. Bereits da repräsentierte er jenen Duke, der er bis zu seinem Tod 1974 war: ein schwarzer Künstleraristokrat mit exzellenten Umgangsformen und Imagekompetenz. Ein Bild, das weit ausstrahlte: Der Bluesmusiker B. B. King etwa gab einmal zu Protokoll, daß er als Kind in Mississippi bereits derart von dem Duke-Image fasziniert war, daß er seine späteren Bühnenshows daran orientiert haben will.
Ellington, der virtuose Pianist, war tief verwurzelt in der Harlem Stride-Tradition und im Blues. Seine Kompositionen orientierten sich stets am individuellen Stil seiner Musiker, die ihm teils über Dekaden verpflichtet blieben. Sukzessive entwickelte der einstige Tanzmusiker Ellington ein sinfonisches Gesamtwerk der schwarzen Kultur, das in den großen Konzertsälen des Landes präsent sein sollte.
Mit der Zeit kam die offizielle Anerkennung. Vergleichsweise spät jedoch, erst 1943, wurde Duke Ellington als erster afroamerikanischer Bandleader eingeladen, in der Carnegie Hall aufzutreten. Das von ihm dafür komponierte „Black Brown, and Beige: A Tone Parallel to the History of the American Negro“ war zunächst ein ziemlicher Flop, da es weder die Erwartungen des Jazz- noch die des Klassikpublikums erfüllte. Heute aber gilt es als einer der Jahrhundertmeilensteine der amerikanischen Musikgeschichte. Zwanzig Jahre später, 1963, wurde Ellington beauftragt, anläßlich der Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Sklavenbefreiung ein Werk zu schreiben. Zur Aufführung kam „My People“ – ein stark autobiographisch geprägtes, ambitioniertes „Black life in music“-Statement, mit der Hommage an Reverend Martin Luther King Jr.: „King Fit the Battle of Alabam“.
Zu seinem siebzigsten Geburtstag, 1969, wurde Ellington von Präsident Nixon ins Weiße Haus eingeladen. Er erhielt die Medal of Freedom und war tief gerührt, schließlich war ihm damit letztendlich eine der höchsten offiziellen Auszeichnungen zuteil geworden. Fortan sprach er dankbar und gern von seinem „Freund Nixon“. Nur, daß zu dieser Zeit gerade der Vietnamkrieg tobte. Speziell das Berliner Publikum nahm ihm diese vertrackte Nixon-Freundschaft lautstark übel, bei seinem Auftritt bei den Jazztagen im gleichen Jahr setzte es Buhrufe.
Doch Ellington ging es nicht um die persönliche Ehrung, sondern um die Gleichberechtigung der schwarzen Kultur im Rahmen der abendländischen Geschichte, auf die Entwicklung eines eigenen Kanons ewig gültiger, notierter Kunstwerke. Dazu brauchte es aber noch bis Mitte der 90er Jahre. Erst dann nämlich installierte das Lincoln Center, der New Yorker Hochkulturtempel überhaupt, eine eigene offizielle Jazzinstitution. Künstlerischer Leiter von „Jazz At Lincoln Center“ wurde der achtfache Grammy-Gewinner und Ellington-Interpret Wynton Marsalis, der zudem 1997 als erster Jazzkomponist den renommierten Pulitzerpreis erhielt. Diese Auszeichnung war Duke Ellington zeitlebens verwehrt geblieben, denn in den Pulitzer-Statuten war Jazz bis dahin nicht als preiswürdig vorgesehen. 1965 war Duke Ellington der Pulitzerpreis, der jährlich für publizistische Leistungen zur Bewahrung und Entwicklung der amerikanischen Demokratie vergeben wird, versagt worden. Es kam zum Eklat, zwei Mitglieder der Jury traten zurück. Vor rund zwei Wochen nun gab das Pulitzer-Komitee, dem inzwischen auch der afroamerikanische Harvard-Professor Henry Louis Gates Jr. angehört, die posthume Preisvergabe an Duke Ellington bekannt.
Posthume Ehrung mit dem Pulitzerpreis
„Jazz war und ist“, hatte Ellington einst dem ignoranten Pulitzer-Komitee gekontert, „die Sorte von Mann, mit der man seine Tochter nicht zusammen sehen will.“ Negro. Heute dient Ellingtons Erbe Wynton Marsalis und Albert Murray als Trojanisches Pferd ins Zentrum der kulturell Mächtigen. Eine wichtige Attacke zielt dabei auf die Jugend. Ein Wettbewerb, initiiert vom „Jazz At Lincoln Center“ – mittlerweile die aktivste amerikanische Jazzinstitution überhaupt und derzeitiges Ellington-Headquarter –, soll 1.300 amerikanische Highschool-Bands mobilisieren; zweckgebundene Geldpreise und Auftritte im Lincoln Center winken. Wynton Marsalis rechnet mit 40.000 Schülern, die in diesem Jahr Ellington-Kompositionen proben und vorführen werden.
Die Geschichte der amerikanischen Negroes sei die Geschichte der amerikanischen Kultur, postulierte einst der Schriftsteller Murray, der mit Duke Ellington befreundet war und heute, selbst weit über achtzig, ästhetischer Berater am „Jazz At Lincoln Center“ ist. Daß sie im Sinne Ellingtons fortgeschrieben wird, scheint sichergestellt.
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