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Ehe als Schweigezeremoniell

Ursina Greuel inszeniert Dostojevskis Die Sanfte in der Heinrich-Heine-Villa als große, verschwiegene Liebesgeschichte  ■ Von Liv Heidbüchel

Schweigen ist Gold – so ein ausgetretenes Sprichwort. Mit dem Eintritt ins Zeitalter der Kommunikation handelte sich diese hochdotierte Tugend einen Verweis auf die hinteren Plätze ein. Die neue Maxime lautet Reden. Jedoch war und ist das Sprechen über zwischenmenschliche Befindlichkeiten bekanntermaßen nicht jedermanns Sache – unabhängig von Epoche und Zeitgeist.

So schuf Fjodor Dostojewski 1876 eine literarische Figur, die sich kommunikativ auf einem gold-silbernen Mittelweg wähnt: „Im schweigenden Sprechen bin ich Meister“, verkündet der Ich-Erzähler der phantastischen Erzählung Die Sanfte. Sein widersprüchliches Credo läßt ahnen, daß zwischen den Gedanken dieses Menschen und seinem sprachlichen Output Welten liegen. Und so hat man Mitleid mit der Frau, die den genialisch Schweigenden erträgt. Dabei ist nicht mangelnde Liebe das Defizit ihrer Ehe, sondern das vom Ich-Erzähler verkrampft-verkopfte Gebot „du sollst nicht kommunizieren“.

Diese konsequente Kommunikationsabstinenz illustriert sein innerer Monolog: Während er noch die Geschehnisse der schweigend vergangenen Monate Revue passieren läßt, liegt seine 16jährige Frau schon tot aufgebahrt neben ihm. So reuig, gepeinigt und verzweifelt er angesichts ihres Selbstmords ist, so naiv wirkt seine letzte Hoffnung, ein wenig von der Last seiner Mitschuld auf die Tote abzuwälzen. Sein verbittertes Klagen gilt den oft beschworenen fünf Minuten, die er zu spät gekommen ist, um seine Frau vor dem Sprung aus dem Fenster der häuslichen Hölle zu bewahren.

Immerhin hat er kurz zuvor eine Art klärendes Gespräch initiiert. Er hat das Schweigen gebrochen und damit den Weg freigemacht zu ihren Gefühlen. So glaubte er. Ebenso wie er glaubte, seine Frau sei die Sanfte, die er so gern in ihr sehen wollte. Doch ihr Selbstmord ist keine unmündige, von den Nachwirkungen einer Krankheit bedingte Anwandlung. Wenngleich zu einem hohen Preis, verweigert sie sich in letzter Konsequenz den erdrückenden Vorstellungen ihres Mannes.

So sieht es zumindest Ursina Greuel, die die Erzählung in der Heinrich-Heine-Villa inszeniert. „Fiesling macht armes, kleines Mädchen kaputt“ interessiert die 27jährige Regieassistentin des Thalia Theaters nicht, die nach Inszenierungen in Zürich und Bern ihre Hamburger Premiere gibt. Die ursprüngliche Idee zur Umsetzung stammt allerdings von Wernder Wölbern, der seit 1961 zum Thalia Ensemble gehört und mit der kommenden Spielzeit zum Ensemble des Wiener Burgtheaters wechselt. Auf der Bühne steht ihm Sylvia Schwarz zur Seite, die die Sanfte in rückblickenden Dialogen vom Totenbett auferstehen läßt. Und wann immer die Tote aus der Hutschachtel des vorinterpretierenden Monologs ihres Manns heraustritt, zeigt sich, warum die Sanfte „gar nicht sanft, sondern von großer Klarheit ist“ , so Greuel.

Deshalb setzt sie den Akzent auch auf die Kommunikationsbarriere, die das Ehepaar trennt. Dicht am Original läßt Greuel den Ich-Erzähler sein eigenes Psychogramm vortragen: Sein Dasein als verkrachte Existenz ist es, das ihn zu einem rachelüsternen Menschen werden läßt, der sich am Leiden anderer bereichert und ein ganzes System schafft, das ihn mit dem Hauch des Rätselhaften umgeben soll.

Das anachronistische, monologische Aneinandervorbeiziehen als Zeichen der Kommunikationslosigkeit führt so die tückischen Folgen des ehelichen Schweigezeremoniells vor. Es offenbart die Bitterkeit des „Hätte-Würde-Könnte“ angesichts des Todes der Geliebten. Und es zeigt, daß Die Sanfte trotz ihres extremen Ausgangs eine große Liebesgeschichte ist.

Premiere: Do, 13. Mai, 21 Uhr, Heinrich-Heine-Villa, Harvestehuder Weg 41

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