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Happiness ist ein warmes Begräbnis

Sein Körper ist von zuviel Zucker und Tabletten aufgeschwemmt, im Kopf wohnen gute Geister: Der labile Held Daniel Johnston spielte Songs über die stets enttäuschte Liebe und den Kampf mit allen sonstigen Teufeln in der Berliner Volksbühne  ■    Von Detlef Kuhlbrodt

In den obskursten Winkeln der Stadt klebten die gelben Plakate mit seinem Namen schon seit Wochen. Ein paar Tage vor dem Berliner Konzert hatte man ihm eine dreistündige Radiosendung gewidmet, in der er live via Telefon zwei Lieder gesungen hatte. Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz hatte dem Helden in einem Pavillon eine Art Ruhmeshalle mit Fan-Artikeln eingerichtet. Am Samstag abend, einen Tag vor seinem Auftritt, standen, saßen und lümmelten vielleicht hundert Leute vor dem Ehrenpavillon tranken Bier, rauchten aufgeregt Zigaretten und tauschten Neuigkeiten über ihr Idol aus, während eine Band seine Lieder spielte bis tief in die Nacht und der Künstler ein paar Straßen weiter seinen Jetlag ausschlief.

Daniel Johnston, der labile Held authentischer Verlustgefühle, der Vorreiter der Neuen Aufrichtigkeit, mit der andere (Beck) dann Anfang der 90er ihr Geld verdienten, der von Sonic Youth bis Nirvana ausgiebigst zitierte und gecoverte geniale Songwriter, wurde in Berlin wie ein Superstar empfangen. Sein Leben ist Legende: Mit siebzehn begann der fanatische Beatles-Fan Songs zu schreiben, die er einer unglücklichen Liebe widmete und mit einem Billigrecorder im Keller aufnahm: „Ich schrieb jeden Tag über Beerdigungsunternehmen und solche Sachen.“ Er arbeitete bei McDonalds, verschenkte seine Homegrown-Tapes, wurde Mitte der 80er zur lokalen Berühmtheit, spielte auf MTV und kriegte dann einen Knacks; fühlte sich von Dämonen und Teufeln umstellt und landete seitdem immer wieder in der Nervenklinik. Mal diagnostizierte man ihm Schizophrenie, mal manische Depression.

Die Produktivität, die er seinem Leiden abtrotzte, ist unglaublich. Mittlerweile hat er um die 300 Songs geschrieben, 13 Cassetten, 7 CDs/Alben und diverse Singles veröffentlicht und zahllose sehr seltsame Bilder gemalt: Boxer mit aufgeschnittenen Köpfen, in denen gute Geister sitzen, führen ihre ewigen Kämpfe gegen den Teufel. Denn der Teufel beherrscht Texas, vielleicht auch die ganze Welt, und ist sehr mächtig. Darum geht es auch in vielen seiner Lieder. Spätestens nachdem Kurt Cobain im September 1992 sein „Hi, how are you“-T-Shirt bei der Verleihung eines MTV-Preises getragen hatte, war der in Austin (Texas) lebende Musiker zum Lieblingsgeheimtip auch größerer Kreise geworden. Als Filmmusik liefen Daniel Johnston-Songs sowohl in Larry Clarkes „Kids“, als auch in „Texas Chainsaw Massacre III“.

Am Samstag kam Daniel Johnston nach Berlin. Begleitet wurde er von seinem Vater, einem ehemaligen WK2-Pilot, der immer noch gern fliegt und sehr besorgt immer schaut, wenn der Sänger eine Zigarette gierig einsaugt. Von seinen 300 Mark Spesen hatte sich Johnston derweil Amiga-Pressungen von Beatles-Platten und Superheldencomics gekauft. Aufgeschwemmt von Tabletten und zuviel Zucker und zuviel Essen ist sein Körper. Manchmal zittert er ein bißchen, wegen der Tabletten, die er nehmen muß. Im Hintergrund seines Gesichts schaut ein scheues, neugieriges, lustiges Jungsgesicht in die Welt. Daniel Johnston wirkt kräftig wie ein Holzfäller; man denkt, wenn er seine Anfälle hat, wird es schon drei Leute brauchen, ihn festzuhalten.

Seine Stimme wirkt immer noch wie die eines schüchternen, eigentlich gehemmten Teenagers, der unbekümmert gegen seine innere Unruhe ansingt; mit einer bewundernswerten Unbekümmertheit, die vielleicht die einzige Chance ist, mit den übermächtigen, beängstigenden Gefühlen, die da wie Tiere im Inneren lauern, fertigzuwerden. Superhelden stehen ihm bei im Kampf gegen die inneren Ungeheuer; die Angst, die Paranoia. Das hat etwas bewundernswert Kindlich-Großartiges und daß es funktioniert, stimmt einen dankbar.

Sandra war aus Rambouillet gekommen, um ihren Star zu sehen; Christoph Schlingensief war aus seinem Exil zurückgekehrt, um Daniel Johnston in der ausverkauften Volksbühne anzusagen. Man hatte das Gefühl, nun plötzlich doch einem dieser pophistorischen Ereignisse beizuwohnen, von denen man immer dachte, daß man sie grundsätzlich verpaßt wie Woodstock, als Daniel Johnston auf die Bühne trat und am Klavier mit dieser hypnotisierend dünnen Stimme von dem Traum zu singen begann, in dem er auf der Bühne steht und die Zuschauer fordern, ihn zu köpfen („I had a dream“).

Sein Konzert, bei dem er neben einem seltsamen McCartney-Cover („Live and let die“) fast ausschließlich noch nicht veröffentlichte Songs spielte, war ergreifend. Ich habe noch nie so einen intensiven Auftritt erlebt. Jedes Lied handelte von der meist enttäuschten Liebe und trotzdem vom pathetischsten Glück. Seine naiven Lieder sind affirmativ. Es handelt sich um eine Affirmation, in deren Brüchigkeit sich die beschädigte Wirklichkeit spiegelt, deren Versprechen auf Glück die Lieder beschwören, die einen plötzlich sprachlos glücklich machen. „I'll promise – next time I'll do a better show“, sagte Daniel Johnston am Ende. Wie geht das? Kauft die Platten!

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