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Musterschüler der Revolution

In England lernte er das Ökonomische, in der Sowjetunion das Militärische. Ab jetzt meistert Thabo Mbeki als Präsident Südafrikas das Politische – beängstigend gut  ■ Von Kordula Doerfler

Der kleine Mann im weißen T-Shirt sieht winzig aus, verloren fast. Um ihn herum jubeln ohrenbetäubend 80.000 Menschen. Wenn sie ihren künftigen Präsidenten sehen wollen, brauchen sie ein Fernglas. Aber das macht nichts, die Stimmung ist ausgelassen. Man wird haushoch siegen in drei Tagen. Das Fußballstadion von Soweto ist bedrohlich voll. So viele Anhänger konnte nicht einmal Nelson Mandela auf die Beine bringen.

Der steht neben Thabo Mbeki und tanzt. Mbeki holt zwei Männer auf die Bühne, nimmt sie an der Hand. Den begeisterten Massen erklärt er, daß es gar keinen Unterschied macht, wenn bald der bisherige Gewerkschaftsboß Mbhazima Shilowa die Arbeit von Mathole Motshekga übernimmt. Das Stadion tobt. Ehe Mothsekga, noch Ministerpräsident der Provinz Gauteng rund um Johannesburg, von der Bühne verschwinden kann, drückt ihm Mbeki ein Mikrofon in die Hand. Der Mann, den der künftige Präsident entmachtet hat, muß jetzt etwas sagen. Ein strategisches Meisterstück. Thabo Mbeki baut vor.

Szenenwechsel. Das koloniale Parlament in Kapstadt vibriert vor Spannung. Übernächtigte Abgeordnete rennen tuschelnd durch die Gänge, wedeln mit dicken Papieren. Ein Wunder ist vollbracht. Südafrikas erste demokratische Verfassung wird an diesem Tag im Mai 1996 die notwendige Zweidrittelmehrheit erhalten, mit den Stimmen der alten Machthaber. Das Wunder ist vor allem Cyril Ramaphosa zuzuschreiben, Chef der Verfassunggebenden Versammlung, der nächtelang um jeden Millimeter gerungen hat.

Aber nicht Ramaphosa erhält an diesem Tag den größten Applaus, obwohl er ihn verdient hätte. Wenig später liegt die Versammlung einem Mann zu Füßen, der sagt: „Ich bin ein Afrikaner.“ Der eine als „poetisch“ und „visionär“ gefeierte Rede hält, in der er vorausnimmt, was er später „afrikanische Renaissance“ nennen wird. Thabo Mbeki ist auf dem Weg nach ganz oben. Ramaphosa verläßt wenig später enttäuscht die Politik.

Drei Jahre später hat Mbeki es geschafft. In den letzten Wochen hat sich der ANC-Spitzenkandidat keine Pause gegönnt. Selbst Mandela rät besorgt, er solle doch einmal ausruhen. „Er ist ein Workaholic“, sagt ein Mitglied seines Wahlkampfstabes, „er verlangt von sich mehr als von allen anderen.“ Das hat sich ausgezahlt. Nur ganz knapp ist der ANC in den Wahlen vom 2. Juni an der Zweidrittelmehrheit vorbeigeschlittert, Mbeki hat ein besseres Ergebnis hingelegt als das Idol Mandela vor fünf Jahren.

Mbeki hat sich den überwältigenden Wahlsieg hart erarbeitet, hat die Ärmsten der Armen davon überzeugt, daß er der Richtige ist. Der Erfolg ist für ihn selbst gar nicht hoch genug zu veranschlagen. Denn ob er es will oder nicht, er wird noch auf Jahre hinaus mit seinem Vorgänger verglichen werden. Das allerdings macht ihn unwirsch. „Muß ich erst noch wachsen oder 27 Jahre ins Gefängis?“ fragte er Ende 1997 auf einem Diner in Johannesburg, kurz bevor er zum ANC-Präsidenten gewählt wurde.

Dabei hat er längst eigenes Profil, ein ganz anderes eben. Es liegt Thabo Mbeki nicht, von Versöhnung zu schwärmen. Im Gegensatz zu Mandela, den Schwarz und Weiß geliebt haben wie einen guten König, ist der neue Präsident ein pragmatischer Macher, ein Technokrat, ein ebenso polyglotter wie intellektueller Stratege. Das weckt im Volk wenig romantische Gefühle, dafür aber um so höhere Erwartungen.

Dort war er vor ein paar Monaten noch keineswegs populär. Das Bad in der Menge liegt ihm, anders als Mandela, nicht besonders. Ebensowenig trägt er bunte Ethno-Hemden, allenfalls einmal ein T-Shirt mit ANC-Aufdruck. Mbeki, der an einer der britischen Eliteuniversitäten studiert hat, bevorzugt teure Anzüge mit Krawatte, auf eleganten Banketten fühlt er sich wohler als in Elendsvierteln. „Südafrika besteht aus zwei Nationen“, sagt Mbeki ebenso nüchtern wie zutreffend, „einer armen schwarzen und einer wohlhabenden weißen.“

Auch nach fünf Jahren Demokratie sind die sozialen und ökonomischen Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß in Südafrika krasser als sonst irgendwo auf der Welt. Eine Schonzeit wird es für den Nachfolger von Mandela nicht geben, und das weiß er auch. Als Vizepräsident hat Mbeki in den vergangenen drei Jahren praktisch schon die Regierungsgeschäfte geführt, keine Entscheidung wurde ohne ihn getroffen.

Die Anstrengungen haben Spuren hinterlassen. Mbeki, 56 Jahre alt, ist ergraut in den letzten Monaten. Jetzt, nach dem Wahlkampf, steht ihm die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Erst Tage nach der Wahl, nachdem endlich das endgültige Wahlergebnis bekannt ist, wird er zum strahlenden Sieger. Seine Rede ist leise, nicht triumphal, trotz 66,4 Prozent für den ANC. Das Wort „ich“ kommt kaum vor, höchstens „der ANC“ oder „im Namen des ANC“.

Mbekis Reden sind geschliffen, jeder Satz ist durchdacht und tatsächlich selbst geschrieben. Fragen nach seinem Privatleben scheut Mbeki. „Ich glaube nicht, daß es jemand interessiert, wie viele Tassen Kaffee am Tag ich trinke“, sagte er kürzlich in einem seiner raren Interviews. Das Unbehagen ist fast mit Fingern greifbar. Am Ende ließ er sich nach fünffacher Nachfrage doch das Geständnis entlocken, welches Buch er gerade liest: eines über die Globalisierung der Weltwirtschaft, selbstverständlich.

Mbeki ist der Musterschüler der Revolution, und Revolutionäre haben kein Privatleben. Sein Leben waren der ANC und die Befreiung Südafrikas. Er gehört zur mächtigen Exilfraktion der Partei, hat auf deren Geheiß in England Wirtschaftswissenschaften studiert, in der ehemaligen Sowjetunion die militärische Ausbildung erhalten, ohne die man nichts werden konnte in der Befreiungsbewegung. Als rechte Hand des damaligen ANC-Präsidenten Oliver Tambo und zugleich Chef der mächtigen Informationsabteilung reiste Mbeki in den 80er Jahren durch alle Welt. Dabei traf er auch schon Delegationen von weißen Südafrikanern und bereitete maßgeblich die Annäherung vor, ohne die es niemals zu friedlichen Wahlen gekommen wäre. „Er ist ein Verhandlungsgenie“, sagt man in seiner Umgebung. „Ich bin in den Kampf hinein geboren“, sagt Mbeki selbst.

Kaum jemand kennt seine Frau Zanele. Als Chefin einer Bank weigert sie sich, die klassische Rolle einer First Lady zu spielen. Kinder haben sie nicht. Die Politik prägt selbst das Verhältnis zu seinem Vater Govan, einem der großen alten Männer des ANC.

„Er wird das Programm des ANC umsetzen“, kommentiert der alte Mann kühl den Erfolg seines Sohnes. „Er denkt auf Monate voraus“, sagt Pfarrer Frank Chikane, einer seiner engsten Berater, der künftig das Präsidentenbüro leiten wird, voller Bewunderung. „Die Arbeit mit ihm ist immer eine Herausforderung.“ „Er ist ein brillanter Intellektueller, und wir hoffen, daß er die intellektuelle Basis der Regierung verbreitern wird“, hofft Njongonkulu Ndungane, der einflußreiche Erzbischof der Anglikanischen Kirche und Nachfolger Desmond Tutus.

Oft war Ndungane kritisch gegenüber dem ANC in den letzten Jahren. Jetzt stellt er sich vorerst lieber gut mit dem neuen Präsidenten. Dessen Büro wird, ähnlich wie sein bisheriges als Vizepräsident, zur Schaltstelle der Macht werden, das Mbeki nach außen hin vollkommen abschottet.

Er schmiedet im Hintergrund Allianzen und hat vorgebaut für die Übernahme des höchsten Staatsamtes. An den entscheidenden Stellen in Staat und Gesellschaft sitzen längst Leute seines Vertrauens. Viele waren schon in den 60er Jahren mit ihm im Exil und sind bedingungslos loyal – und Schwarze. Erst vor wenigen Tagen hat Mbeki einen Schwarzen als neuen Verfassungsrichter ernannt, obwohl es einen qualifizierteren weißen Kandidaten gab. Das nennt sich Afrikanisierung, ist mitunter aber nur umgekehrter Rassismus.

Auch in Mbekis Anfang diesen Jahres erschienenen Buch „Africa – The Time Has Come“ bleibt die „afrikanische Renaissance“ unscharf. Ist es die kulturelle, politische oder ökonomische zweite und „wahre Geburt“ des Kontinents? Und was ist ein Afrikaner? Darf er auch Weißer oder Inder sein?

In die Regierung wird Mbeki, um der nationalen Einheit willen, die (schwarze) Inkatha-Freiheitspartei bitten und ausgerechnet den unberechenbaren Zulu-Fürsten Mangosuthu Buthelezi zum Stellvertreter küren. Wer dabei an Verhältnisse wie in Simbabwe denkt, wo die Regierungspartei übermächtig geworden ist, muß sich scharfe Kritik gefallen lassen. „Wir wollen keine Zweidrittelmehrheit“, beteuerte Mbeki im Wahlkampf. Man glaubte es ihm sogar. Nur: Mit Buthelezis IFP hat er sie.

Mbeki aber ist noch klüger. Vorsorglich wird gleich nach der Wahl das Amt des Vizepräsidenten vollständig entmachtet. Und: Man kann sich die Zweidrittelmehrheit auch anders besorgen, mit einem willfährigen Jasager aus einer der Splitterparteien, dem Inder Amichand Rajbansi. Der saß schon zu Apartheidzeiten in der Kammer für Inder und hat jetzt mit seiner „Minority Front“ einen Sitz in der Nationalversammlung. Mit der bereits besiegelten Koalition hat Mbeki nicht nur Inkatha kaltgestellt, sondern auch die Inder auf seine Seite geholt. Ein genialer Schachzug, für die „nationale Einheit“ natürlich, für die Mbeki „soviel Unterstützung wie möglich“ haben wollte.

Zwar hat er sie nun bekommen, auch von den unentschlossenen Unzufriedenen. Das aber ist zugleich eine schwere Hypothek. Mbeki muß ein altes Versprechen des ANC halten: die Verbesserung der Lebensverhältnisse für die schwarze Mehrheit. Der Erwartungsdruck auf den neuen Präsidenten ist enorm, aus der Partei, der Industrie, den Gewerkschaften, der großen Masse der Armen. Zwischen den „zwei Nationen“ in Südafrika muß Mbeki die Quadratur des Kreises gelingen: für einen Ausgleich zu sorgen, ohne dabei Mandelas Vermächtnis, die Versöhnung, aus den Augen zu verlieren und die für die Wirtschaft wichtigen Weißen zu vergraulen.

Die aber schreien jetzt schon Zeter und Mordio, wenn man nur von ihnen verlangt, angemessene Steuern und Abgaben zu zahlen. Mit solchem Schlendrian soll künftig Schluß sein. Korruption und Selbstbereicherung hat Mbeki den Kampf angesagt – auch in den eigenen Reihen. Sein Konzept heißt Transformation, nicht Versöhnung.

Nur allzu genau weiß Mbeki, daß das auch unpopuläre Maßnahmen einschließt. „Wir müssen den Gürtel enger schnallen“, ist seine Prognose für die nächsten Jahre. Noch hat das niemand so recht zur Kenntnis genommen in Südafrika, doch auch dafür wollte der neue Präsident soviel Unterstützung wie möglich. Später wird er einmal daran erinnern können. Thabo Mbeki baut vor.

Im Gegensatz zu Mandela, den Schwarz und Weiß liebten wie einen guten König, ist der neue Präsident ein Macher

Er hat vorgebaut. An den entscheidenden Stellen in Staat und Gesellschaft sitzen längst Leute seines Vertrauens

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