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Wahrheit und Tod: zwei seltsame Sonnen

■ Neu im Kino: Ein kurdenfreundlicher Film, der in der Türkei einer spannenden Halbtabuisierung unterzogen ist

Kaum ist Öcalan zum Tode verurteilt, läuft in Bremen der Film einer jungen Türkin an, der unsere Nato-Freunde drunten am Bospo-rus als Polizeistaat kenntlich macht – mit einer Rechtstaatlichkeit, die schlicht nicht vorhanden ist. Es ist ein brandaktueller Film, ein wichtiger, ein mutiger Film. Ob er auch gut ist, bleibt zu diskutieren. Mit PC-Preisen (Friedensfilmpreis der Berlinale) und höchstem Presselob eingedeckt wurde er jedenfalls.

„Die Reise zur Sonne“ ist die Geschichte einer gewaltsam erzwungenen Politisierung. Den türkischstämmigen Teenager Mehmet hat es aus der Provinz nach Istanbul verschlagen. Er ist viel zu jung, ungebildet, erfahrungsarm, als daß sich auch nur ein einziger politischer Gedanke in seinem mit Überlebensfragen voll ausgelasteten Hirn hätte bilden können. Dieses Übel wird bald durch ein größeres beseitigt.

Denn erstens ist das Schwarz seiner Haare eine Nuance allzu schwarz. Und Nuancen können in Semidiktaturen lebensentscheidend sein. Und zweitens gibt es da diese herrenlose Pistole; und Mehmet hat das Pech, dieser Pistole am nächsten zu sein. Auch harmloses Pech kann in Diktaturen ganze Lebensläufe umstülpen. Schwups gilt Mehmet als das, was er am allerwenigsten ist, als Kurde und Terrorist und wird als solcher gefoltert, gefeuert und zur Erwerbs- und Rechtlosigkeit verdammt.

Weil er selbst plötzlich in der Verfolgungsmaschinerie festklemmt, rückt ihm das Schicksal seines kurdischen Freundes Berzan plötzlich ganz nah. Doch ehe er etwas in Erfahrung bringt über dessen Widerstand ,sieht er ihn sterben – in den TV-Nachrichten, bei einer Demo. Als Mehmet irgendwann auch noch von der alleruntersten sozialen Stufe, der als (Achtung: Symbol) Mülldeponie-Malocher, gestoßen wird, nimmt er die Leiche seines Freundes und fährt mit ihr quer durch die Türkei, um sie in Kurdistan würdig zu begraben. Die Reise zur Sonne ist zwar eine Reise zu verbrannter Erde, zerstörten Dörfern, Polizeisperren und großer Armut, aber eben auch eine Reise zur Wahrheit.

Der Film ist eine türkisch-deutsch-niederländische Coproduktion. Das heißt, eine mutige türkische Produktionsfirma muß daran beteiligt gewesen sein. Es ist der erste Film, in dem kurdisch getanzt, getrommelt und manchmal auch gesprochen wird, was natürlich verboten ist. Auf der Berlinale kam der Film einen Tag nach Öcalans Verhaftung zur Aufführung – unter Polizeischutz. Die beiden Hauptdarsteller wurden kurz darauf in der Türkei verhaftet und wieder entlassen. Doch die deutsche Ausgabe des Hürriyet lobte den Film. Und auch die BILD-ähnliche „Sabah“ gönnte ihm Beachtung – als Beispiel für den zunehmenden Erfolg türkischer Filme in Deutschland; aber kein Sterbenswort fiel über seinen politischen Gehalt. Auch Regisseurin Günese Yolculuc hält sich, laut Verleiher Pegasus, aus strategischen Gründen zurück mit politischen Statements; der Film sei ja schließlich auch eine Liebesgeschichte. Erstaunlicherweise konnte er auf dem Istanbuler Filmfestival gezeigt werden. Ob er ganz normal in die türkischen Kinos kommt, steht immerhin noch offen. Da bewegt sich etwas ganz haarscharf an der Grenze zwischen Erlaubtem und Kriminalisiertem und offenbart so auf grandiose Weise das Torkeln des türkischen Staates zwischen Liberalismus und Gehirnwäsche, Offenbaren und Verstecken. Eine schizoide Situation, die weit in die Ästhetik des gesamten Films hineinwirkt.

Der Held sieht mit großen, tranigen Augen, spitzer Nase und wundgeprügelter Stirn in eine Welt voller Paßkontrollen und Panzer hinein – und macht seinen Mund nicht auf. Hier wird nichts ausgesprochen, nichts diskutiert, nichts nachgefragt. Für uns Abkömmlinge einer lauten Diskurskultur ist dies schwer zu ertragen. Statt dessen Bilder, Bilder, Bilder, von Jacek Petrycki, dem Kameramann des Berufsmelancholikers Kieslowski. Wie ein unangemessen sedierender Schleier legen sich die traurig-schönen Impressionen von dahinziehenden Schiffen, Brücken, Gässchen, Bergen über die brisante Geschichte. Am Ende von „Die Reise zur Sonne“ wandelt sich Mehmet vom Erleidenden zum Handelnden. Und was tut er? Er trägt seinen Freund zu Grabe in heimatlicher Muttererde. Welch sinnlose, pathetische, symbolische Geste, denkt vielleicht der westliche Zuschauer. Doch welche Alternativen hätte Mehmet zur Auswahl: Arbeitskreise, Bürger-Inis...? bk

Ab heute im Cinema, tägl. um 19 Uhr und um 21 Uhr

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