: Schütteln und Backen
■ Henning Harnisch
Was bisher geschah: Bill Bradley war Basketballprofi, schrieb ein großartiges Buch über sein Leben als Basketballer und möchte der erste amerikanische Präsident sein, der mal Basketballprofi war. Der Autor dieser Kolumne geriet ins Schwärmen, sah seine Zeilen an und beschloß, das Thema Bradley fortzusetzen.
Die Schönheit des Mannschaftssports liegt in seiner kollektiven Kraft. Einer Kraft, die, zumindest auf dem Spielfeld, ungetrübt ist von Rassismus und Klassendenken und somit mit dem wirklichen Leben ungefähr soviel zu tun hat wie die neue deutsche Komödie.
Was hat Basketball mit dem Leben zu tun? Nichts. Bill Bradley wird das ändern.
Anders als die deutsche Komödie lassen sich Teamgeist und Mannschaftsspiel in ihrer ausgefeilten Variante aber durchaus als Metapher für das gesellschaftlich Anzustrebende gebrauchen. Und das ist in Zeiten von neuer Mitte und Kriegsministern gar nicht mal wenig.
In der letzten Kolumne war ich so vermessen, zu behaupten, daß die DDR, hätte sie sich an den New York Knicks der Siebziger orientiert, nicht abgestiegen wäre. Das hat mir Leserpost, nicht nur von Egon Krenz, eingebracht. Nicht nur das, ich habe mich mit dieser gewagten Analogie unnötigerweise ganz gehörig unter Druck gesetzt. Zur Aufklärung: Natürlich haut das so nicht hin. Erstens spielte die DDR nicht im Madison Square Garden wie die Knicks, zweitens waren in der Abstiegssaison 89/90 die staatseigenen Trainingsanzüge längst verkauft. Techno und Club waren die zeitgemäßeren Politstrategien bzw. Moden, somit standen die verantwortlichen Trainer ohne Material unmaterialistisch dumm rum. Was als wahrer und bedenkenswerter Ansatz der DDR/Knicks-Analogie bleibt ist die Gewißheit, daß das Kollektiv seine Schönheit einerseits durch den Spieler erfährt, der weiß, warum er den Ball weiterpaßt, und der weiß, warum er in der Verteidigung seinem Mitspieler hilft. Der, andererseits, als Teil des Kollektivs den kollektiven Nutzen des spontanen Ausstiegs aus dem System zu schätzen weiß. Als Ergebnis findet man mündige, aufgeklärte Menschen, die den Wert der Gemeinschaft erkennen und die gerne ihre persönlichen Statistiken den Zeitungen überlassen.
Wenn also innerhalb desKollektivs Michael Jordan seinen Tanzteil selber choreographieren darf, dann sieht die DDR, das kann sie sich ruhig mal anhören, tatsächlich ganz alt aus und muß zum Tanzunterricht wieder in die Ideologieschule, zum Spontaneitätsbüffeln.
Da wir nun schon bei gewagten Thesen sind, Theweleit, bitte melden Sie sich, man sieht, was passiert, wenn ein glücklich gerundeter Mensch seine fußballerische Tätigkeit im Frankfurter Ostpark gegen das asketisch selbstbezogene Dauerlaufen eintauscht. Davon hat niemand was, außer die strammen Gesichtszüge und die Moralphrasen, die aus Joschka Joseph machen. Der erleuchtete Mannschaftssportler verarbeitet dagegen seine Kollektiverfahrungen in politischen Überzeugungen und reflektierenden Büchern. Die lassen ihn, für amerikanische Verhältnisse, zu liberal zum Regieren werden, aber aufgepaßt: Bill Bradley, der skandalfreie Präsidentschaftsaspirant, hat noch politische Trümpfe im Ärmel. Die Stimme z. B., die Afroamerikanern geschichtliches Gewicht gibt und Basketball korrekt einordnet: die Stimme von Spike Lee. Diese Stimme ist eine bedeutsame, spricht sie doch auch für eine Vielzahl der US-Bürger, die nicht wählen gehen, und das sind 30 bis 40 Prozent der potentiellen Wähler. Spike Lee sagt, daß Bill Bradley auf seine Wählerstimme zählen kann, denn er verstehe, was es braucht, Präsident zu werden. Nicht weil er in Princeton war, als Rhodes Scholar in Oxford studierte und Senator wurde, nein, das sind nicht die Gründe, warum Bradley, aus Lees Sicht, für das Präsidentenamt geeignet ist. Es ist die Tatsache, daß er für die Knicks spielte, daß er es verstand, Teil eines Kollektivs zu sein, daß er seine Lektionen über Teamwork und Mannschaftschemie, über Diskriminierung und den Kampf gegen sie lernte. Von all dem, so schließt Lee, profitierte Bradley nicht zum Schlechteren. Dem schließe ich mich an. Eine Welt, die sich an den improvisierbaren Regeln des Mannschaftssports orientiert, ist besser als eine Welt der einsamen Dauerläufer.
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