: Der Traum des Hobbybastlers
■ Die Kunst im Haus erspart den Zimmermann: Mathieu Mercier stellt seine meditativen Ambient-Regale und Heimwerkerphantasien in der Galerie Mehdi Chouakri aus
Die Welt ist voller Baumärkte. Sie stehen meistens am Stadtrand kurz vor der Autobahn und warten auf Kundschaft. Schnäppchenjäger in Sachen Badezimmerkacheln oder Schraubenziehergarnituren sind hier ebenso willkommen wie Bastler, die sich im Keller selbst verwirklichen wollen. Es geht voran im Eigenheim. Oder in der Galerie bei Mehdi Chouakri. Dort zeigt der Franzose Mathieu Mercier, was aus den Träumen der Hausväter werden kann, wenn sich die Kunst mit Do-it-yourself-Design beschäftigt.
Gleich im Eingangsraum hat der 1970 geborene Mercier eine überdimensionale Skulptur aus Holzlatten und MDF-Platten verschraubt. Das sperrige Objekt besteht aus einer Ansammlung von weißbeschichteten Regalen, die sich, um das hölzerne Skelett drapiert, wie Kartons im Supermarkt auftürmen. Dabei verwischen die Grenzen zwischen funktionaler Ablage und konstruktivistischem Kunstwerk: ein Ordnungssystem, das sich selbst genügt; Turm, Feste und Speicherplatz zugleich.
Vor allem aber zieht Mercier das mögliche Mobiliar räumlich zusammen und kehrt dabei die Wohnsituation um – die Schrankwand rückt ins Zentrum des Geschehens. Dieser Umgang mit dem Material hat Methode: „Wie können Werkzeuge Möbel werden?“ fragt Mercier in seinem Katalog, und Michel de Certeau gibt ihm darauf eine philosophische, sehr postmodern verschlungene Antwort: „In dem Maße, wie die Objekte, die das Imaginäre möblieren, eine Topographie dessen bilden, was man nicht mehr sieht, kann man sich fragen, ob umgekehrt das, was man am meisten sieht, heute nicht das definiert, woran es am meisten mangelt.“ Nun handelt es sich bei den Objekten von Mercier nicht unbedingt um sophistische Laubsägearbeiten für Heimwerker. Vielmehr finden sich in seinen Skulpturen immer wieder Anspielungen auf den meditativen Minimalismus der holländischen De-Stijl-Bewegung; nur eben nicht als späte Feier der Reduktion, sondern ironisch gebrochen. Mercier benutzt die Formensprache der Moderne, aber er zieht ihr gleichzeitig eine Alltagsebene ein, die den Nutzwert ins Absurde steigert. Für ein Buchregal hat er vier Bretter so kunstvoll montiert, daß gerade mal der eigene Katalog hineinpaßt – Stellfläche: ein Zentimeter. Umgekehrt hängt eine MDF-Platte als weißes Rechteck an der Wand, auf deren Rückseite wiederum diverse Kunstbücher in Kästchen aufgestapelt sind. Immerhin ist für Mercier auch der Panzerschrank „ein extremes Möbel“. Selbst ein verchromter Sturzhelm findet noch als gekrümmter Spionspiegel eine neue Verwendung.
Für all diese Verkehrungen zwischen Kunst und Design im gewöhnlichen Leben hat der französische Objektkünstler, dessen holzverkleidete Topfpflanzen letztes Jahr auf der Berlin Biennale zu sehen waren, am Ende noch eine Weisheit parat, die dem Hobbybastler im Hause das Herz aufgehen lassen dürfte: „Pfusch ist besser als nichts tun, und, mit einem bißchen Glück, hält es, bis die Profis kommen.“ Insofern ist sein „OBI“-Ambiente ein Kommentar zum Scheitern übergeordneter ästhetischer Programme. Bei aller Komplexität wurschtelt man sich in der Praxis halt so durch, auch in der Kunst. Darin ist Mercier tatsächlich ein Profi. Das neue Bauhaus liegt nicht in Weimar, sondern am Wittenbergplatz. Die Dübel warten schon. Harald Fricke
Bis 6. 8., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Mehdi Chouakri, Gipsstraße 11. Der aufwendig gestaltete Katalog kostet 20 DM.
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