■ Rot-Grün hinkt in entscheidenden Fragen hinter anderen Ländern her: Ohne Investionen in Umweltschutz keine Arbeitsplätze: Ein Bündnis für Arbeit und Umwelt
„Messen Sie meine Regierung am Abbau der Massenarbeitslosigkeit“, sagte Gerhard Schröder oft, nachdem er zum Bundeskanzler gewählt worden war. Inzwischen sagt er dies kaum noch – aus gutem Grund.
Auch im Sommer 1999 gibt es in der Bundesrepublik offiziell beinahe vier Millionen Arbeitslose. Tatsächlich suchen etwa sieben Millionen Deutsche einen Arbeitsplatz wie das „Institut für Arbeitsmarktforschung“ an der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg bestätigt. Diese „stille Reserve“ setzt sich hauptsächlich aus diesen drei Gruppen zusammen: aus ABM-Leuten, die keinen Dauerarbeitsplatz haben; Millionen Frauen, die bisher keinen Erwerbsarbeitsplatz hatten, jetzt aber einen suchen, und vielen Schul- und Studienabgängern in ihrer Übergangsphase von der Ausbildung zum Beruf.
Ist Massenarbeitslosigkeit unser Schicksal? Offenbar nicht. Während der Amtszeit von Bill Clinton wurden in den USA 17 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Japan hat knapp 4 Prozent Arbeitslose, Deutschland über 10 Prozent. In Dänemark wurde in den letzten sechs Jahren die Zahl der Arbeitslosen halbiert, ebenso in England. Noch besser sieht die Statistik in Holland aus.
Warum nicht in Deutschland? Hilft künftig vielleicht die ökologische Steuerreform? Sie soll ja die Umwelt entlasten und viele neue Arbeitsplätze schaffen.
Trotzdem argumentieren viele Politiker und Ökonomen in Deutschland zur Jahrtausendwende so, als sei Massenarbeitslosigkeit naturgegeben. Die interessantere Frage lautet: Haben wir in Deutschland vielleicht deshalb so viele Arbeitslose, weil wir immer mehr auf Kosten der Natur wirtschaften? In England, Dänemark, Schweden und Holland hatte der Einstieg in die ökologische Steuerreform tatsächlich positive Arbeitsplatzeffekte.
Der dänische Energieminister Svend Aukken hat kürzlich im Fernsehen vorgerechnet, daß die ökologische Steuerreform in seinem Land nicht nur einen Durchbruch zugunsten der erneuerbaren Energien bewirkte, sondern allein bei den regenerativen Energien zu 55.000 neuen Arbeitsplätzen geführt habe, während bei den alten Energieträgern in derselben Zeit lediglich 5.000 Arbeitsplätze weggefallen seien. Die ökologische Steuerreform wurde in Dänemark schon 1993 konsequenter praktiziert als in Deutschland 1999 und hat unterm Strich 50.000 neue, zukunftssichere Arbeitsplätze und eine spürbare Entlastung der Umwelt gebracht.
Auf das größere Deutschland übertragen, wären das rund 800.000 neue Arbeitsplätze. Über ein ähnliches Arbeitsplatzwunder durch eine Steuerreform für Arbeit und Umwelt gewinnt Schweden heute 35 Prozent aller Energie aus umweltfreundlichen Energiequellen, Deutschland 5 Prozent. Kent Nyström, der schwedische Präsident des Europäischen Biomasseverbandes, erklärte soeben, daß das Steuersystem das wichtigste Lenkungsinstrument zugunsten erneuerbarer Energie einschließlich vieler Arbeitsplätze sei. Doch der „Modernisierer“ Gerhard Schröder ist unfähig, eine so moderne Politik in der deutschen Gesellschaft zu kommunizieren.
Sonne, Wind und Wasser schikken uns keine Rechnung. Den Stoff für erneuerbare Energie gibt es kostenlos. Alles, was in erneuerbare Energien investiert wird, führt zu sanfter, umweltfreundlicher Technik und zu neuen, zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Auch in den USA und Japan hat es sich früher als bei uns herumgesprochen, daß solare Technologie im 21. Jahrhundert als Exportschlager eine ähnliche Rolle spielen kann, die das Auto im 20. Jahrhundert gespielt hat. Siemens-Solar ist deshalb nach Amerika ausgewandert, und Japan hat fünf Jahre vor Deutschland ein Hunderttausend-Solardächer-Programm initiiert – im wesentlichen mit deutscher Technologie.
Rot-Grün will auch in den nächsten drei Jahren die Benzinsteuer lediglich um sechs Pfennig pro Jahr anheben. Der Kanzler aller deutschen Autos läßt grüßen. Ein so minimaler Anstieg – in England steigt der Benzinpreis seit Jahren um beinahe das Doppelte –, in Gang gebracht von den Konservativen, diskreditiert das Herzstück einer ökologischen Steuerreform: positive Arbeitsplatzeffekte und Umweltentlastung. Weder das eine noch das andere wird mit Schröderscher Feigheit gegenüber Ferdinand Piäch und den Großkonzernen zu haben sein.
Es wird sich zeigen: Erfolg wird das „Bündnis für Arbeit“ erst haben, wenn sich dieses Bündnis endlich zu einem „Bündnis für Arbeit und Umwelt“ transformiert. Und dessen Motor kann nur eine Steuerreform für Arbeit und Umwelt sein. Doch Gerhard Schröder geht ständig vor dem Druck der deutschen Energiewirtschaft und Autoindustrie in die Knie. Der Genosse wird zum Diener der Bosse.
Auch in der konservativen Schweiz werden die Zusammenhänge von neuen Arbeitsplätzen und einer umweltfreundlichen Energiepolitik klarer gesehen als im rot-grün regierten Deutschland. Ein vom Berner Parlament in einer Allparteienkoalition von grün bis schwarz verabschiedetes Energiewirtschaftsgesetz sieht vor, daß bereits bis 2018 die Hälfte aller Energie regenerativ erzeugt werden soll. Dadurch sollen in der Schweiz 84.000 neue Arbeitsplätze entstehen – übertragen auf Deutschland, hieße dies: Arbeit für knapp eine Million Menschen.
Doch hierzulande sagt der grüne Umweltminister Jürgen Trittin, Deutschland könne frühestens in 50 Jahren die Hälfte seiner Energie regenerativ erzeugen. Das meinte schon seine Vorgängerin Angela Merkel. Der Eindruck drängt sich auf: Es gibt in Deutschland einfach viel zuwenig Arbeitslose, um neue Wege zu gehen, die der Umwelt und den Arbeitslosen helfen. In Dänemark, Schweiz, Holland und Schweden bestätigt sich die alte These von Klaus Töpfer: „Umweltschutz ist kein Arbeitsplatzkiller, Umweltschutz ist vielmehr der Arbeitsplatzknüller der Zukunft.“
Immerhin wurden in den letzten 20 Jahren in Deutschland eine Million Arbeitsplätze in den Umweltschutzbranchen geschaffen – überwiegend im Mittelstand. Der entscheidende Vorteil dieser Arbeitsplätze: Von ihnen geht ein Segen für alles Leben aus – keine Gefahr wie in der Atomtechnologie, keine Umweltbelastung wie im Kohlebergbau oder in der Chemie und keine Tötungsgefahr wie in der Waffenproduktion.
„Messen Sie meine Regierung am Abbau der Arbeitslosigkeit.“ Wir sollten den Kanzler beim Wort nehmen. Bisher wurde lediglich deutlich: Aus der Neuen Mitte wurde im wenigen Monaten die neue Mittelmäßigkeit mit der alten Angst vor den Großkonzernen. Das einzig Neue ist: In der Ära Töpfer war Deutschland Umwelt-Musterknabe in Europa – jetzt unter Rot-Grün bewegt es sich in Richtung Schlußlicht. Franz Alt
Schröder kapituliert regelmäßig vor der Auto- und der EnergielobbyHaben wir so viele Arbeitslose, weil wir immer auf Kosten der Natur wirtschaften?
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen