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Ein Idiot der Gegenwart

Der Aktionskünstler Alexander Brener, alleiniger Aktivist der „Internationale der nicht lenkbaren Torpedos“, wütet mit Vorliebe in Museen. Eine Huldigung  ■   Von Wladimir Kaminer

Von Künstlern gehasst, von Kuratoren missachtet, steht Brener auf dem imaginären Schlachtfeld der Kultur

Respekt vor Schwachsinn ist eine altrussische Tradition, deren Wurzeln tief in die Vergangenheit des Landes reichen. Noch im 16. Jahrhundert warf der Schwachsinnige Wassili einen Stein gegen die Ikone der Gottesmutter in einer Kirche im Zentrum von Moskau. Die Gottesmutter brach zusammen, das Volk war entsetzt. Unmittelbar danach fand man hinter der Ikone eine Teufelsbemalung an der Wand. Nun heißt die Kirche, das Schmuckstück des Roten Platzes: die Kathedrale des Schwachsinnigen Wassili. 1920 kam ein zerlumpt aussehender Mann nach Moskau, der eine Zauntür auf seiner Schulter trug. Die Zauntür war vollgeschrieben mit magischen Zahlen und unbekannten Buchstaben. Der Mann erklärte, diese Zauntür sei ein Zeichen der ewigen Macht Lenins. Zwar wurde dieser Vorfall später ins Lehrbuch der Psychiatrie aufgenommen, doch die Zauntür steht immer noch im Lenin-Museum.

Heutzutage ist der Schwachsinn zu einem ehrenwerten Beruf geworden. Im Schwachsinnsbereich tätige Männer und Frauen agieren nicht mehr auf dem Feld der Medizin oder der Religion, sie sind in die Kunst und Politik vorgedrungen. Die zwei bekanntesten russischen Aktionskünstler sind Oleg Kulik und Alexander Brener. Kulik ist unter anderem als Gründer der Tier-Partei bekannt. Ihm gelang es, bei den letzten Wahlen über zwei Millionen Ameisen-Unterschriften für seine Kandidatur als Vertreter der Partei im russischem Parlament zu sammeln und bei der Wahlkommission vorzulegen. Brener wanderte 1989 aus Russland nach Israel aus. Und verbringt jetzt die meiste Zeit in Europa, als eine Art Don Quichotte der Gegenwart.

Immer öfter kommt er nach Deutschland. Damit wächst für die deutschen Künstler die Gefahr, ihm zu begegnen. Der Gründer und alleinige Aktivist der „Internationale der nicht lenkbaren Torpedos“ zieht durch die Welt und hinterlässt überall Spuren der Zerstörung. Sein Beweggrund ist der ultimative Widerstand gegen alles und jeden: In Moskaus größtem öffentlichen Schwimmbad onanierte er vom Fünfmeter-Sprungbrett auf die Köpfe seiner Kollegen, die sich unter ihm versammelt hatten, um an einem Kunstwettbewerb teilzunehmen. Im Rahmen seiner Aktion „Van Gogh ist toll und ich bin Scheiße“ defäkierte er im Puschkinmuseum vor den versammelten Kunstkritikern. Einige russische Künstlerkreise infizierte er absichtlich mit einem Trippervirus und veröffentlichte anschließend den Ausbreitungsverlauf, woraufhin er von mehreren Geschlechtskranken zusammengeschlagen wurde. Außerdem erklärte er Weißrussland höchstpersönlich den Krieg und bombardierte deren Botschaft mit Ketchup-Flaschen. Drei Tage musste er dafür in Untersuchungshaft.

Nach seiner Freilassung verabschiedete er sich von Russland und wanderte nach Israel aus. Dort, in Jerusalem, setzte er sich in eine Pappkiste, mitten im Viertel der Orthodoxen, und hielt seinen Schwanz aus einem Loch heraus. Auf Grund der unerträglichen Hitze und des lausigen Interesses der Bevölkerung kam Brener schnell zu dem Schluss, dass in Israel keine Kulturrevolution möglich sei, und fuhr nach Europa.

Bei der „Interpol“-Ausstellung in Stockholm 1996 zerstörte Brener ein Ausstellungsstück: einen 20 Meter langen Tunnel aus Menschenhaar, ein Werk der New Yorker Chinesin Wenda Gu. Damit handelte er sich von dem französischen Kritiker und Herausgeber der Zeitschrift Purple Rose, Oliver Zahm, geharnischte Vorwürfe ein. Er sei ein russischer Faschist, Kulturimperialist und Skinheadideologe. 1997 verbrachte Brener, an sich ein recht sympathischer und ruhiger Mensch, fünf Monate in einem holländischen Gefängnis, nachdem er im Amsterdamer Stedelijk Museum ein Dollarzeichen auf ein Bild von Kasimir Malewitsch gesprüht hatte. Rudi Fuchs, Direktor des Stedelijk Museum, schrieb auf Anfrage des Präsidenten der Wiener Sezession, das übersprühte Bild für eine Austellung über russischen Aktionismus auszuleihen: „Das Ölbild ,Weißes Kreuz auf grauem Grund‘ von Kasimir Malewitsch wird gerade restauriert, aber vielleicht kann Alexander Brener als Ersatz dafür ein Dollarzeichen auf Klimts ,Beethovenfries‘ in der Wiener Sezession sprühen.“

Von Künstlern gehasst, von Kuratoren missachtet, steht Brener auf dem imaginären Schlachtfeld der Kultur – einer gegen alle (seit kurzem arbeitet er dabei allerdings mit der Wiener Jungrevolutionärin Barbara Schurz zusammen). Eigentlich ist er kein „Kulturterrorist“, und der platte Ausdruck „Aktionskünstler“, der oft in solchen Fällen verwendet wird, steht ihm auch nicht. Brener ist ein Kulturereignis, eine verlorene Seele der zivilisierten Gesellschaft, ihr Fleisch und Blut. Der ausgebildete Philologe ist einer der letzten Intellektuellen der alten russischen Schule, bei dem einmal im Laufe seiner akademischen Laufbahn eine Sicherung durchknallte und ihn vom kulturwissenschaftlichen Hauptgleis losriss: Wie wäre es, wenn wir den ganzen Kram zum Teufel jagen würden, um einzig und allein wieder nach unserem eigenen dummen Willen leben zu können, dachte sich Brener. Und also zog er in den Krieg. Er raucht nicht, trinkt nicht und macht 200 Liegestütze täglich.

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