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Undercover in der Höhle des Löwen

■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Erlebte Handlungen im Bier-Seminar

Normalerweise recherchiere ich außerhalb der Grenzen unseres sauberen Landes – in waffenstarrenden Milieus und fiesfinsteren Spelunken. Meine Bücher „Die Russen-Mafia“ und „Palermo-Connection“ haben mich berühmt und reich gemacht.

Deshalb konnte ich es mir am 1. September erlauben, für die taz einen Auftrag zu übernehmen, der Gemütlichkeit versprach und eine schöne Kölschstange Extrakleingeld einbringen würde – nämlich dem Seminar „Von der Kunst, sein Bier zu genießen“ beizuwohnen.

Peter Hahn, Hauptgeschäftsführer des veranstaltenden Deutschen Brauer-Bundes, eröffnete die Sitzung mit ein paar goldenen Worten. „Wir wissen doch alle“, stellte er munter konspirative Einigkeit her, „dass Trinken zuletzt eine erlebte Handlung ist.“ Erstaunt angesichts solcher und anderer tiefenhermeneutisch-sprechakttheoretischer Aperçus bzgl. „Trinkmotivationen und Getränkefunktionen“, musterte ich die eindrucksvoll hässlich gestalteten Broschüren. „Über Bierkultur in Deutschland braucht man keine großen Worte zu verlieren“, befahl „Deutsche Biere im Überblick – Fakten und Argumente“. Warum saßen wir dann hier? Kollege Janßen von der Westdeutschen Zeitung hatte sogar einen Termin, die Besichtigung neuer „Friedhofstechniken“, sausen lassen. Am Tisch des Fresssaales im Bonn-Ramersdorfer Kitschcastle „Schloßhotel Kommende“ hockten lauernd zirka zwanzig Presselemuren und die berühmten deutschen Bierdeuter Karl-Heinz Heyse („Was darf Biersatire?“), Feinschmecker-Redakteur Achim Becker („kennt die Biere dieser Welt“ und hat schon mal acht Weizen probiert) sowie Karl Rudolf („Autor“ eines Buches zur Geschichte und gesellschaftlichen Rolle der Fitnessdrinks).

Jener Rudolf, stimmte uns Hahn verschwörerisch ein, sei „nicht zu verwechseln mit Michael Rudolf, der ein Buch herausgebracht hat, das ich aber hier nicht besprechen möchte“ („1516 Biere“, Edition Tiamat). In diesem Moment drehte ich flink mein Namensschild um. Ich wollte nicht bestimmter „Beziehungen“ verdächtigt werden.

Gleichwohl, die Temperatur in der Höhle des Löwen stieg. Augen blinzelten. Lider fielen, und die Dreistheit erklomm einen ersten Viertausender während der Rede Beckers, die glänzend offenbarte, dass man bei geschätzten „zwei Kilo“ (H. Tomayer) Honorar für zwanzig Minuten Gephrasel auch keinen Gedanken kommunizieren muss, ausgenommen Bier „stiftet Identität“, zumal „in der kalorienbewussten Moderne“ unterm Habermas-Paradigmadiktat der „Ausdifferenzierung der Sorten“.

Das fröhliche Gemeinplätzchennaschen hielt an. Ich fühlte mich sicher und unerkannt, bis K. Rudolf zum Vortrag schritt. Keinen Scheiß, den er aus einem Popularwerk wie „Das große Lexikon vom Bier“ abgepinselt hatte und als „Neues aus der Genussgeschichte“ annoncierte, ließ er passieren: Ägypter und Bier, haha, Klöster, huhu, Reinheitsgebot, jojo. Ich ballte heimlich, um weiter quasi unter der reich gedeckten Tischdecke des Verstummens Tarnung zu finden, die Faust und schlug den Aschenbecher zu Boden. Erschrocken blickte die Runde. Brauer-Bund-Pressereferentin Herrmann tat dann aber, als sei nichts gewesen, und lauschte erneut Rudolfs Abzockeritis und fehlerhafter Biergrundschulkunde: „In Deutschland war es schon um die Jahrhundertwende üblich, auf alles Bier eine Abgabe zu verlangen.“ Ich verlangte nach Luft, nach einer Unterbrechung des gebotenen Schauspiels der Korruption und der Lobbyistenfaschisten, des Gleichklangs zwischen Verbandsverbrechern und einer Journaille, die nichts weiß und alles glaubt, frisst, reinwürgt und die Propaganda zum weltverblödenden Druck befördert.

Spitzenbierer und Topschmierer formierten sich zwecks Fotoshooting. Frau Herrmann, ich stand allein, kam herzu und klagte, wie ich Bier beurteile, das sei „gemein böse“. „Das grenzt an Rufmord“, raunte sie. „Ja“, gestand ich, „in meiner Freizeit köpfe ich gern ein Flensburger oder erwürge ein Warsteiner. Ende September erscheint mein neues Buch.“ – „Da werden wir mitmischen“, erwiderte sie. Wenig später suchte sie meinen Beitrag zu einer Diskussion über mangelnde Biervielfalt in deutschen Restaurants abzublocken. Die Fachcorona feierte trompetenlaut ihr einheimisches Einheitsgesöff, und K. Rudolf bewies erneut, dass er außer dem Inhalt eines Weizenbierpokals nichts gesehen hat. Zwei kluge, souveräne, gewandte, kein bisschen liebedienerische Dozenten, der Amsterdamer Psychophysiologie und Genussapologet Jan Snel und Braumeister Johannes Schulters, der den hopfenfeinen Satz sprach: „Bier soll Wiederwillen erzeugen“, vermochten bei mir nichts mehr zu retten. Ich knabberte Malzkorn und entschied, nach der zweiten Pause mit der erstklassigen IM-Illusion zu fliehen, der Demaskierung während des abendlichen „Schlemmermenüs“ zu entgehen.

„Sie können Ihr Namensschild ruhig anlegen“, erklärte plötzlich die nette Organisatorin Steinhauser, „es wissen sowieso alle, warum Sie hier sind.“ Da habe ich das erste (tischwarme) Clausthaler meines Lebens getrunken. Bekommen ist es mir ... doch schweige ich. Ich möchte Leib und Karriere nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. Sie verstehen mich?

Jürgen Roth

Unser Autor veröffentlichte gemeinsam mit Michael Rudolf „Bier! Das Lexikon“ (Reclam Leipzig)

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