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American PieCatfish Blues

■ Jim Hunter, erfolgreicher Vorkämpfer gegen die Leibeigenschaft im Baseball

The day, the music, died

Bevor er letzte Woche im Alter von 53 Jahren an der Lou-Gehrig-Krankheit, einer Schwächung des Nervensystems, starb, gab Jim „Catfish“ Hunter als Beruf „Farmer und Autor“ an. Ein bescheidener Mensch, denn es ist noch gar nicht so lange her, da war Hunter einer der besten Baseball-Pitcher seiner Zeit: Zwischen 1965 und 1979 gewann er 224 Spiele, und mit den Oakland A's und den New York Yankees wurde er fünfmal Champion in der Major League Baseball. 1968 warf er ein „perfect game“, was zuvor nur sechsmal gelungen war, und selbstverständlich wurde er in die Hall of Fame gewählt. Das alles schaffte er ohne seinen rechten großen Zeh, den er sich mit einer Gewehrkugel selbst amputiert hatte.

Berühmt gemacht hat ihn allerdings nicht dieser Jagdunfall, sondern ein abseits des Spielfelds errungener Sieg: 1974 ging Hunter mit Hilfe der Spielergewerkschaft vor Gericht, weil sein Klub, die Oakland A's, die Hälfte seines Jahresgehalts von 100.000 Dollar nicht wie vertraglich vereinbart an eine Lebensversicherung überwiesen hatten. Hunter gewann die Anhörung und wurde so zum sogenannten free agent, d. h., er konnte sich sein Team frei wählen. Er unterschrieb einen neuen Vertrag bei den Yankees, der ihm 3,75 Millionen Dollar über fünf Jahre garantierte und ihn zum bestbezahltesten Baseball-Profi machte.

„Ich war möglicherweise der Erste“, hat Hunter Jahre später gesagt, „der dafür gesorgt hat, dass die anderen Spieler endlich verdienen, was sie wert sind.“ Denn bis zu diesem Zeitpunkt war Baseball ein System halbwegs anständig bezahlter Leibeigenschaft. Lief der Vertrag eines Spielers aus, durfte der Klub ihn um ein weiteres Jahr zu den alten Bedingungen verlängern. Und das nicht nur einmal, sondern jedes Jahr wieder. Die Folge: Ohne Zustimmung des Klubs konnte niemand den Verein wechseln. Das vermied eine Konkurrenz zwischen den Teams um Spieler, hielt die Löhne auf einem niedrigen Niveau und war quasi ein – eigentlich verbotenes – monopolistisches Kartell.

Der Fall Hunter verdrängte im Spätsommer 1974 teilweise sogar den Watergate-Skandal aus den Schlagzeilen. Die Öffentlichkeit erfuhr erstmals massiv von den skandalösen Zuständen im Baseball und dass Vertragsbruch durch die Klubbesitzer an der Tagesordnung war. In Streitfällen musste der Chef der Liga schlichten. Der entschied aber grundsätzlich für die Klubbesitzer, schließlich hatten sie ihn gewählt. Manchmal wurden gar die Spieler selbst zu Strafen verdonnert, mit der Begründung, sie hätten das Ansehen des Sports in der Öffentlichkeit beschmutzt. Bis zu Catfish Hunter hatten auch ordentliche Gerichte diese Rechtsprechung gedeckt.

Das Urteil gegen das Gewohnheitsrecht und für Hunter war ein Schock für alle Beteiligten. Nicht einmal der Spieler selbst und sein Agent hatten an einen Erfolg geglaubt. Anschließend dauerte es zwar noch einige Jahre, bis die automatische Verlängerung der Verträge endgültig gekippt und allgemein etabliert war, dass sich jeder Spieler nach Vertragsende das Team aussuchen konnten, das ihn am besten bezahlte. Aber Hunter und sein Millionenvertrag bewiesen, dass der Mythos, dieser Umstand wäre das Ende des professionellen Baseball, nur eine Propagandalüge der Klubbesitzer war, um ihre Profite zu optimieren.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall Catfish Hunter, pünktlich zu seinem Tod, hat sich das Kräfteverhältnis umgekehrt. Während ungefähr die Hälfte der Klubs behauptet, Verluste zu machen, sind zehn Millionen Dollar im Jahr für Topkräfte ein durchaus übliches Gehalt. Das haben die Profis von heute einem Spieler zu verdanken, der sich noch einen Schnurrbart wachsen ließ, weil der Teambesitzer dafür einen Bonus von 300 Dollar ausgesetzt hatte.

Thomas Winkler

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