■ Rosi Rolands Bremer Geschichten: Was Schröder lernen muss
Der Kanzler hat warme Worte gefunden und sein Volk liebt ihn wieder etwas mehr als vorher. Politiker müssen menschliche Gefühle zeigen, müssen ihre eigenen Entscheidungen bei Bedarf auch bedauern können („bitter, aber notwendig“), müssen „mehr an ihre Mutter denken“, wie die SPD-Bundestagsabgeordnete Margot von Renesse das sagt. Ob Schröder das auf die Dauer schafft?
Warum kommt er nicht nach Bremen, um mal zu sehen, wie man das erfolgreich macht? Fürchtet er, dass diese Geste der Glaubwürdigkeit bei aller Grausamkeit nicht einfach abzugucken ist? Dass man es im Blut haben muss?
Schröder wird nie können, was Henning Scherf kann. Nur zwei Oberhemden im Jahr dürfen sich Sozialhilfeempfänger leisten? Ein Scherf würde wahrscheinlich sagen: Das ist bitter. Aber in der Krise steckt auch eine Chance: Wahrscheinlich versteht mann seine Frau auch besser, wenn mann das Hemd zwischendurch auch mal mit der Hand waschen muss. Wir müssen flexibel sein, uns auf neue Situationen einstellen. Klagt Scherf etwa, dass in der Sozialbehörde derzeit alles, was er in jahrelanger Arbeit als Sozialsenator gestaltet und aufgebaut hat, eingerissen wird?
Flexibel sein. Scherf, der Sozialpolitiker, von dem die CDU früher behauptete, er habe in dem kurzen Intermezzo als Finanzsenator 1979 nur bewiesen, dass er nicht mit Geld umgehen kann, profiliert sich als Wirtschaftspolitiker. Blamiert den Wirtschaftsboss, der in die Bremer Politik, ging, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und das ging so:
Freitag, 3. September. Der erfolgreiche Becks-Geschäftsführer, ein Mann der Tat und gleichzeitig ein Mann vom Fach auf dem Stuhl des Wirtschaftssenators, Josef Hattig, erklärt, es gebe keine Werftenhilfe für die SSW-Werft. Aus. Die nächste Vulkan-Werft vor der Pleite? Allein Scherf sieht in der Krise eine Chance: Zwei Wochen später kann er verkünden, daß die Werftenhilfe bewilligt ist.
Das Wirtschaftsministerium hat 6,5 Millionen Mark bewilligt, Bremen darf 13 Millionen draufpacken. Drei Millionen müssen bei der Kleiderhilfe der Sozialhilfeemfänger gespart werden, 13 Millionen zur Subventionierung eines Werft-Auftrages sind da, die Zahlen haben natürlich nichts miteinander zu tun. Die Kunst der Politik besteht darin, das eine als „bitter, aber notwendig“ zu verkaufen, das andere als Erfolg. Der Kanzler könnte in Bremen was lernen, findet Ihre Rosi Roland
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