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Die Stupidität des Marktes“

■  Jetzt ist es raus: Nur 0,35 Prozent der Berliner entschieden sich für den grünen Strom des Stromversorgers Bewag. 4 Prozent für Atomstrom. Der Rest ließ alles beim Alten

Die Berliner erweisen sich als Öko-Muffel. Nur 4.317 Haushalte entschieden sich bei der Bewag für ÖkoPur, den grünen Strom aus regenerativen Energien. Das entspricht 0,25 Prozent der Gesamthaushalte. Für den Atomstrom „MultiConnect“ und „MultiConnect 24“ entschieden sich dagegen 4 Prozent. Der Rest verteilt sich auf die beiden „Berlin Klassik“-Tarife, die Strom aus der relativ umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung anbieten. Insgesamt 91,5 Prozent wählten „BerlinKlassik“. 3,5 Prozent entschieden sich für den Tarif „BerlinKlassikPlus“, der zwar billiger ist als „BerlinKlassik“, aber eine Mindestvertragszeit von zwölf Monaten voraussetzt. Die Bewag hat etwa 11.000 Kunden an andere Anbieter verloren.

Anfang des Monats hatte der Stromriese etwa 1,8 Millionen Haushalte angeschrieben und die Kunden auf die verschiedenen Tarife aufmerksam gemacht. Antworten brauchte nur, wer nicht „BerlinKlassik“ haben wollte. Der Rücklauf habe eine „Flut von Post“ ausgelöst, sagte Siegfried Knopf, Pressesprecher der Bewag. Etwa 150.000 Haushalte meldeten sich. „Es sind erstaunlich wenig abgesprungen. Das spricht dafür, dass die Berliner mit der Bewag zufrieden sind“, sagte Knopf. Der Erfolg von „BerlinKlassik“, der 30 Pfennig pro Kilowattstunde (kWh) statt wie bisher 34 Pfennig kostet, sei nicht auf Desinteresse oder Faulheit der Kunden zurückzuführen. „Unsere Kunden sind nicht faul, sie haben eine Entscheidung getroffen.“

Der preiswerteste Strom, den die Bewag anbietet, ist der Atomstrom „MultiConnect“. Der Grundpreis beträgt 20 Mark im Monat, der Arbeitspreis 22 Pfennig pro Kilowattstunde. Der Kunde kann sich wahlweise für eine Mindestvertragslaufzeit von 12 oder 24 Monaten entscheiden. Bei ÖkoPur kostet eine Kilowattstunde 39 Pfennig. Um die Einspeisung regenerativer Energien zu garantieren, arbeitet die Bewag mit dem World Wide Fund For Nature und dem Ökoinstitut zusammen, die die Einspeisung überprüfen. Ein einheitliches Label für Ökostrom gibt es bisher nicht. Die jetzigen Labels haben unterschiedliche Bewertungskriterien. Das Ökoinstitut beispielsweise begutachtet zwar den Strom, nicht aber den Anbieter. So kann es sein, dass auch Anbieter ausgezeichnet werden, die auch Atomstrom liefern. Der TÜV zählt Energie, die aus Müllverbrennungsanlagen und Stauseen stammt, zum grünen Strom.

Dag Schulze, Referent für erneuerbare Energie des „World Wide Fund For Nature“, hält den grünen Strom der Bewag für eine „gute Sache“. „Die Bewag hat eines der besten Angebote. Mit ÖkoPur macht man keine Fehler.“ In der vergangenen Woche haben die Grünen ein Infotelefon eingerichtet und für den grünen Strom geworben. Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus, meint, es müsse erst ein „gesellschaftliches Bewusstsein gegen die Stupidität des Marktdenkens geschaffen werden“. Er warnt vor Billigangeboten. Bei dem ständigen Wandel auf dem Strommarkt sei es dumm, sich langfristig zu binden. Um den Ökostrom attraktiver zu machen, müssten politische Rahmenbedingungen geschaffen werden. „Es leuchtet nicht ein, dass man für Ökostrom auch Ökosteuern bezahlen muss.“ Würde der Ökostrom befreit sein, könnten 2,5 Pfennig gespart werden, bei einer Mehrwertsteuerbefreiung sind es sogar knapp 6 Pfennig. Dann wäre der Ökostrom genauso billig wie BerlinKlassik. Jan Brandt

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