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Ausgeschlafene Riots

■ Nach der Postapokalypse: Die kanadische Band Do Make Say Think spielt auf der Insel

Eigentlich war man Mitte des Jahres ziemlich überzeugt davon, dass der Mini-Riot, den die kanadische Band Godspeed You Black Emperor! in Indierock- und Postrockkreisen verursacht hatte, einmalig war. So viel Euphorie um eine Band gab es lange nicht mehr – zuletzt vielleicht Ende der Achtziger, als Blind Idiot God, Bitch Magnet oder Codeine abseits von Schmockrock und Seventies ihre Kreise zogen –, so viel Wirbel um Apokalypsen und Postapokalypsen, um ultimative Sounds und Soundscapes eines zehnköpfigen Großorchesters im Rock-Line-up.

Ein bisschen übersehen und überhört wurde dabei, dass Constellation, das kanadische Label von Godspeed You Black Emperor!, zur selben Zeit versuchte die europäischen Freunde schöner Musik via Weilheim und Hausmusik für eine weitere Band zu begeistern, für Do Make Say Think.

Ein eigenartiger und an sich unübersetzbarer Bandname, ein hübsches Wortspiel, möglicherweise sinnfrei in die Welt gesetzt, getreu der Devise: Machen, sagen, denken und sonst nicht weiter kümmern. Verkündeten die Labelkollegen mit dem Titel einer ihrer EPs den langsamen Riot für eine Stunde null in Kanada und anderswo, so wollen die aus Toronto stammenden sechsköpfgen Do Make Say Think musikalisch da nicht hintanstehen.

Zeit der Reife und Andacht, Zeit der langsamen Bewegung: In ihren Instrumentalstücken scheint sich beim ersten Hören erstaunlich wenig zu tun, ganz ruhig und ohne besondere Dramaturgie fließen die dahin. Eine Bassfigur hier, ein Gitarrenlick dort, mal ein Trompetenton, dann ein paar Keyboardtupfer, und im Hintergund werden die Songs abwechselnd von zwei Schlagzeugern mit Besen und Stöcklein strukturiert.

Unter dieser Oberfläche aber tut sich eine Menge. Da wirbeln die Töne und werden Spannungen aufgebaut, da geht die scheinbare Monotonie über Bord, da wird's komplex und bleibt es trotzdem sanft und locker. Und anders als Godspeed You Black Emperor! entfachen Do Make Say Think die langsamen Riots und Nullstunden gänzlich ohne Bombast und Pathos.

Wenn dann auf ihrem Debütalbum die letzten Töne des fast zwanzigminütigen Schlusssongs, „The Fare To Get There“, verklungen sind, ist nach so viel konzentrierter und kontemplativer Versunkenheit Erschöpfung angesagt im Ohrensessel. Aber auch Begeisterung und der Griff zu Fernbedienung und Repeat-Taste. Sollen doch dann Namen wie Tortoise, Spiritualized, Mogwai oder Slint fallen und böse Zungen von Postrock, die zweihundertdreißigste, Postschmock oder Protojazz reden – kennen wir alles, wissen wir alles, kann aber gegen die Magie von Do Make Say Think nur wenig ausrichten.

Gerrit Bartels

Ab 22 Uhr, Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

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