: Zerbrochene Kilometer, paarweise
■ Das Kunsthaus Zürich zeigt die kleinteilige „The 2000 Sculpture“ des amerikanischen Landart-Künstlers Walter De Maria
Als Walter De Maria 1968 die Münchner Galerie von Heiner Friedrich kniehoch mit Erde anfüllte, war das ein paradoxes Statement gegen den sauber geweißten Ort des Kunstkommerzes. Durch den Eingriff waren die Ausstellungsräume unpassierbar geworden, und es gab darin nichts, was man hätte kaufen können. Wenig später erklärte der Künstler, Galerien seien genauso veraltet wie Varietés, und zog in die Wüste, wo er mit dem Bulldozer den Boden bearbeitete.
Jetzt ist wieder ein Ausstellungsraum für eine Skulptur von Walter De Maria entleert worden. „The 2000 Sculpture“ ist zum zweiten Mal nach 1992 im Kunsthaus Zürich zu sehen. Sie beansprucht mit ihren 500 Quadratmetern einen ganzen Saal. Anders als vor dreißig Jahren gibt es dieses Mal nichts, was die gewohnte, sterile Ausstellungsatmosphäre stören würde. 2.000 fünf-, sieben- und neunseitige Gipsbarren, die paarweise in zwanzig Reihen zu einem Fischgrätenmuster ausgelegt sind, erstrahlen unter dem wiederhergestellten Oberlicht.
Als Erstes fällt die ungeheure Präzision auf, mit der die Elemente ausgerichtet sind. Ihr ist es zu verdanken, dass die Zickzack-, Karo- oder Kreuzformationen, die sich bei unterschiedlichen Ansichten aus dem Feld bilden, ohne die geringste Irritation wahrgenommen werden können. Von den Schmalseiten des Feldes aus scheint es, als würden die Stäbe in der Ferne zu weißen Streifen verschmelzen. Wissen und Wahrnehmung klaffen auseinander.
Diese Überforderung des Sehsinns hat Walter De Maria bereits bei seiner New Yorker Installation „The Broken Kilometer“ erprobt, wo in einer Lagerhalle am West-Broadway 500 Messingstäbe von je zwei Meter Länge hintereinander ausgelegt sind. Unter gleichmäßigem Kunstlicht vereinigen sich die glitzernden Stäbe nach hinten zu einem Feld, das flimmert wie eine Landschaft in der Mittagshitze. Die Züricher Skulptur, rein rechnerisch auch ein zerbrochener Kilometer, ist die logische Fortführung.
Anders aber als in New York fällt von oben Tageslicht auf die schneeweißen Stäbe. Und beim Studium der Reflexionen zeigt sich dann auch der Charme des Werkes. Die zum Licht gewandten Barrenflächen leuchten heller. Über die Seiten nimmt die Strahlkraft zum Boden hin ab. Die Bahnen aus gleichen Elementen werden in der Ferne zu Streifen, die sich durch feinste Schattierungen voneinander unterscheiden. Es gibt kein künstliches Licht. Jede Tageszeit und Witterung lässt die Stäbe in anderen Grautönen erstrahlen. Der Aufenthalt wird zu einer Übung in Kontemplation. Zwischen fast vollständig fensterlosen Wänden gegen die Geschäftigkeit der Großstadt abgeschottet und durch die pure Reinheit der Gipsoberfläche vor Irritationen geschützt, liegt die Skulptur zur ungestörten Ansicht bereit.
Und genau das stimmt misstrauisch. Das Werk passt ein wenig zu gut in die weiße Schachtel des Ausstellungsraums. Die 2.000 wohlproportionierten Skulpturenelemente gehen völlig in der Ausstellungssituation auf. Sie entsprechen genau dem, was von einem Künstler zu erwarten ist, der seit Jahrzehnten minimalistische Kunst macht. Der ursprünglich mit den Werken verbundene Anspruch, die Ausstellungsinstitutionen in Frage zu stellen, ist überholt. Zurück bleibt die zeitlose Form. Dazu passt das jüngst von Walter De Maria geäußerte Statement: „I am a dreamer, but there is so much reality around me.“
Nun ist es ja nichts Ungewöhnliches, dass ein Künstler eine erfolgreiche Strategie lange über das historische Verfallsdatum hinaus anwendet. Ärgerlich ist nur, dass sein Rückzug aus der Wirklichkeit auch noch honoriert wird. In seinem Katalogbeitrag bietet Kurator Harald Szeemann für die Skulptur so ziemlich alle wichtigen Ismen der Kunst des 20. Jahrhunderts auf, was bei nüchterner Betrachtung doch übertrieben erscheint. Auch sein Hinweis an anderer Stelle, dass De Maria sich nach dem Golfkrieg für Gips entschieden habe, um Verletzlichkeit spürbar zu machen, gibt weniger Aufschluss über das Werk als über den Realitätsverlust des Künstlers. Die Übereinstimmung von zwei Zahlen schließlich zum Anlass zu nehmen für eine erneute Präsentation, ist vollends beliebig. Und damit im aktuellen Millenniumstaumel dann doch wieder zeitgemäß.
Lars Mextorf
Bis 16. Januar, Kunsthaus Zürich; anschließend im Hamburger Bahnhof, Berlin. Katalog ca. 49 DM.
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