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Auszeichnung für eine verwachsene Gurke

■ Adolf Endler erhält den Bremer Literaturpreis für seinen Lyrikband „Der Pudding der Apokalypse“. Eine Würdigung ...

Erster Eindruck: Ein wenig kommt es als Mogelpackung daher. Gedichte 1963 bis 1998 steht auf dem Vorsatzblatt. Dabei ist, war es doch Vorsatz (mithin Vorgabe), nicht ein Lebenswerk zu prämieren bei diesem Bremer Literaturpreis, sondern die beste und wichtigste Veröffentlichung des vergangenen Jahres. Da schwante einem schon Böses: Die werden doch nicht das Jahrhundert des Günter G. auf's Treppchen heben? Als Sahnehäubchen, oben drauf auf dem schwedischen Weltruhmverstärker?

Aber nein. Auch für's Jahr 2000 einigte man sich seitens der Jury des Bremer Literaturpreises auf einen, den man mit Fug und Recht als Außenseiter bezeichnen kann. Adolf Endler, geboren 1930 in Düsseldorf, ist Prosaautor, Essayist, Kritiker; aber vor allem Lyriker. Und er ist einer, der es versteht, RezensentInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dies Buch werde ihn „als eine der verwachsensten Gurken der neuen Poesie zeigen“, schrieb er, als er an der Durch- und Nachsicht von fünfunddreißig Jahren Gedichtproduktion arbeitete.

In einer acht Seiten langen „Erklärenden Notiz“ am Ende des vorliegenden Bandes „Pudding der Apokalypse“ beschreibt Endler die Arbeit an der Zusammenstellung der Texte seit den frühen sechziger Jahren. Was ist drin, was ist draußen geblieben, dazu eine Auswahl möglicher (oder wahrscheinlicher) literarischer Bezüge. Vor allem, schreibt Endler, sind das Bezüge, die sich in seinem „Frühwerk“ finden ließen. Doch im großen und ganzen böte die Auswahl früher Gedichte „ein Zeugnis der Unreife eines teils großfressigen, teils versonnenen Jung-Lyrikers, der sich leiten oder irreleiten läßt von den unterschiedlichsten zeitgenössischen Vorbildern, wie einer sie kaum unter einen Hut bringen möchte“. Warum aber kommen sie dann überhaupt vor? Die Antwort ist klar: Der kritische Blick, den Endler auf sein Material wirft – und das macht die Sammlung von Texten aus über dreißig Jahren schließlich doch zu einer echten „Neuerscheinung“ – ist distanziert, aber nicht distanzierend.

Die nun vorliegenden vier Abteilungen, grob chronologisch geordnet, zeigen: Nicht alles ist verworfen worden. Vor allem nicht der Rückgriff auf ältere Formen. Ballade, Lied, Sonett. Doch ergibt sich aus diesen formalen Korrespondenzen werder die humoristische Perfektion eines Robert Gernhart, noch der Eindruck, man habe es bei Endler mit einer Art Durs Grünbein-Vorfahr zu tun, der, einem ebenso schrägen wie postmodernen Vorsatz folgend, in einem Gedichtband schon mal eine ganze Bibliothek zusammensampled. Bei Endler sind die Formen brüchig, die Reime eigenwillig.

Eindeutig Gurken, doch auch irgendwie anders. Und wieder einmal wird klar, dass Humor nicht nur so zum Spaß passiert. So ist fast zwangsläufig das titelgebende Gedicht über den „Bückeburger Sonetten-Wettstreit“ von 1982 ein Prosatext, in dem die Sonett-Form nicht einmal mehr zitiert, sondern nur noch benannt ist. „Gänzlich gleichgültig war uns Sechsen/Sieben Bückeburg und die Sonettkunst geworden höher stieg und höher der Pudding des Unheils am Himmel, da die anderen immer noch wie verrückt an dem Sonettreißverschluß herumzerrten“. Eine schön-schaurige Verkehrung: Ver-rückt die Dichtkunst, und die Betrachtung des Himmels inklusive endzeitlicher Vorahnung.

Wie der vorletzte Preisträger Einar Schleef ist auch Endler Teil einer deutsch-deutschen Literaturgeschichte. 1955 siedelte Endler in die DDR über und studierte in Leipzig Literatur. Er gehörte zu jenen, die bruchlos den freirhythmischen Klopstock mit Brecht verbinden konnten und wollten. Ein Vertreter der bald schon nicht mehr ganz jungen Literatur in der DDR. Auch an seinem Werk lassen sich Wechsel und Brüche im Literatursystem DDR ablesen. So ist eine Abteilung „Akte Endler“ überschrieben. Heiner Müller hat einmal gesagt, man könne sich glücklich schätzen, in einem Land zu leben, wo Literatur so ernst genommen werde. Dies Glück wurde auch mir zuteil!, scheint Endler einem zuzurufen, wenn er in der abschließenden Notiz aus einem „Gutachten“ über das 1967 geschriebene Gedicht „Das Sandkorn“ zitiert. Der Hauptvorwurf an die „sozialistische Gesellschaft“, heißt es da, „lautet: 'Die hätten auch dem Hitler wie Barzelstrauß gedient.' (Also wieder Vorwurf des latenten Faschismus in der DDR)...“ Fein beobachtet, Herr Literaturbeauftragter! Allein dieses Zitat belegt, wie angenehm wenig sich Endler heute eignet, als Ex- oder gar Antikommunist auf's Podium gehoben zu werden oder als Musterschüler der 'deutschen Einheit'. Benennt er, Endler, der zunehmend die realsozialistischen Missstände zu Material vor allem seiner unmittelbar politischen Gedichte machte, dass die DDR so war, wie sie war, weil sie eben ein deutscher Staat war. Den totalitarismustheorieseligen Interpreten wird der Zugang verweigert.

1979 wurde Endler übrigens mit einigen anderen aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Im Zuge der Verfahren gegen Stefan Heym wegen „Devisenangelegenheiten“. Fast liebevoll ironisch geht Endler mit der Stasi-Spießigkeit um: „Ich darf ausnahmsweise mal petzen“, steht da. Dabei geht es 1982 um den Alkoholkonsum eines gewissen Sascha Anderson. Schön!

Es soll nicht verschwiegen werden, dass Endlers Buch nicht nur, vielleicht nicht einmal hauptsächlich aus Auseinandersetzungen mit der DDR besteht. Es gibt leise Texte, verschrobene Liebenswürdigkeiten. „Glasklar war mir heute, als ich erwachte, diese von Tag zu Tag größere Ruhe geworden, / Mit der ich die erste Zigarette noch vor dem Frühstück mir dreh auf dem Schlafanzugsknie“. Merwürdige Notate finden sich, „an den Rand des 'Hustler' gekritzelt“, aufgeblasene Betrachtungen zur Benutzung von Autobahnen und Badewannen.

Fast schon wehmütig klingt das letzte Gedicht. Es heißt „Memoire II“ und geht so: „Vor einem Jahrzehnt / Die Wimper, die verlassene, / In Heines Werken / (Band Vier)“. Stets hat Endler Germanistik und Literaturkritik mehr oder weniger missbilligend beäugt. „Du kannst immer noch in ihn hineingeraten, den Literaturbunker da“, schrieb er 1985. Trotzdem: ein würdiger Preisträger. Ist er jetzt drin? Hoffentlich nicht. Tim Schomacker

„Der Pudding der Apokalypse“ ist bei Suhrkamp erschienen und kostet 38 Mark

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