piwik no script img

Die Sieger sind verunsichert

Mit einem 11:6 gegen Tampa Bay erreichen die St. Louis Rams die Super Bowl, aber beginnen nun, an ihren Offensivfähigkeiten zu zweifeln ■ Von Thomas Winkler

Sie reckten die Arme, sie lachten, sie stemmten den Pokal. Schließlich hatten die St. Louis Rams das Unfassbare geschafft. Mit einem 11:6 gegen die Tampa Bay Buccaneers hatte das vor dieser Saison erfolgloseste Profifootball-Team der 90er-Jahre die Super Bowl, das wichtigste Ereignis des US-amerikanischen Sportkalenders, erreicht. Dort trifft man am 30. Januar auf die Tennessee Titans, die das andere Halbfinale bei den Jacksonville Jaguars mit 33:14 gewannen.

Doch der Jubel wirkte steif, die Freude unsicher. Der Halbfinalerfolg beschert den Rams mit der Super-Bowl-Teilnahme zwar den perfekten Abschluss einer traumhaften Saison, die sie als 200:1-Außenseiter bei den Buchmachern begonnen hatten. Aber wie dieser letzte Erfolg zustande kam, gab den Siegern offensichtlich zu denken. Zum ersten Mal in dieser Spielzeit war ein Team imstande, den scheinbar unwiderstehlichen Angriff von St. Louis zu stoppen. Bisher hatte die Offense um den zum wertvollsten Spieler der Liga gewählten Quarterback Kurt Warner und den zum besten Offensiv-Spieler gekürten Running Back Marshall Faulk durchschnittlich 33 Punkte erzielt, so viel wie nur zwei Teams zuvor in der Geschichte der National Football League (NFL). „Wir hatten ihnen unser Spiel aufgezwungen“, fühlte sich Tampa Bays Defensive Tackle Warren Sapp, der beste Verteidigungsspieler des Jahres, nach dem Spiel als moralischer Sieger, „wir ließen sie leiden“.

Doch die Rams hatten Glück: Tampa Bay brachte es fertig, sogar noch weniger Punkte zu erzielen. Aber Tennessee-Coach Jeff Fisher hat nun nicht nur zwei Wochen Zeit, die Seinen auf die Super Bowl vorzubereiten, vor allem haben die Buccaneers die Blaupause geliefert, wie man die potenteste Offense der Liga zum Stottern bringt. „Wir wissen, dass es gegen die Titans ebenso schwer wird“, sagt Warner im Hinblick auf die 34. Super Bowl. Doch es es gibt noch mehr Gründe für die Rams, sich Sorgen zu machen: Nicht nur spielen die Titans eine ähnliche Verteidigung wie die Bucs, vor allem haben sie eine Offensive, die den Namen auch verdient.

„Wir müssen uns steigern“, hat Rams-Coach Dick Vermeil erkannt. Das gilt für allem für Quarterback Warner, der ausgerechnet im Halbfinale das schlechteste Spiel der Saison ablieferte. Warner, der vor wenigen Jahren noch in einem Supermarkt Kisten stapelte, bevor er über den Umweg Arena League und NFL Europe doch noch in der NFL landete, war die größte Überraschung dieses an Sensationen nicht armen Football-Herbstes. Doch die Buccaneers spielten erfolgreich eine Zonendeckung, die verhinderte, dass die Receiver, wenn Warner sie in vollem Lauf anspielte, nach dem Fang noch großen Raumgewinn erzielen konnten. Vor allem mit solchen Spielzügen hatten die Rams die ganze Saison immer wieder Touchdowns erzielt. „Sie verändern ständig ihr Verteidigungssystem“, klagte ein verunsicherter Warner, „man muss sich das Spielfeld entlang arbeiten.“

Schlechte Nachricht für die Rams: Ähnliches gilt auch für Tennessee. Auch deren Verteidigung setzt den gegnerischen Quarterback von allen verfügbaren Positionen aus aggressiv unter Druck. Zwar gelten die Rams trotz ihrer dürftigen Vorstellung gegen Tampa noch als Super-Bowl-Favoriten, aber das einzige Aufeinandertreffen der beiden Teams in dieser Saison gewannen die Titans 24:21.

Außerdem sind die Titans das einzige NFL-Team, das den erklärten Super-Bowl-Favoriten Jacksonville in diesem Jahr schlagen konnte – und das gleich dreimal: Zweimal in der regulären Saison und nun im Halbfinale. Zwar spielen die Titans einen recht konservativen Football, der vor allem auf den Lauf und kurze, sichere Pässe setzt. Aber deshalb machen sie auch weniger Fehler als der Gegner, was vor allem in engen Spielen den Ausschlag gibt. So wurschtelten sie sich mit Glück zu zwei knappen Siegen in Achtel- und Viertelfinale, bevor sie gegen Jacksonville wieder richtig überzeugen konnten. „Das beste an diesem Team ist es, dass wir niemals genug kriegen“, verspricht Titans-Tight-End Frank Wyceck, „wir werden nicht ruhen, bis wir alles gewonnen haben.“

Alles, das heißt: die Super Bowl. Die Titans haben nun eine Woche Zeit, das Videoband des Bucs-Rams-Spiels zu analysieren und die Defense der Bucs zu studieren. Währenddessen haben die Rams eine Woche, um an ihren Offensiv-Qualitäten zu zweifeln. Eine Woche, in der Kurt Warner grübeln kann, ob es möglich ist, dass ein Kistenstapler zum besten Quarterback der NFL werden kann. Eine Woche, um sich zu überlegen, ob es tatsächlich möglich ist, dass ein 200:1-Außenseiter den Titel gewinnt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen