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Zoologie der Sportlerarten

Prof. H. Hirsch-Wurz

Der Homo racketensis, volkstümlich Tennisprofi genannt, gehört zur Gattung der Assschläger und ist die meiste Zeit des Jahres ein Einzelgänger. Nur wenn es gar nicht anders geht, schließt er sich vorübergehend einem Rudel an, um Kämpfe gegen andere Rudel auszufechten, was dann Daviscup oder Fedcup heißt. Wer eine Ausrede findet, z. B. keine Zeit (Kiefer), Verband blöd (Agassi), Teamchef blöd (Kiefer), Hüfte kaputt (Sampras), alles kaputt (Graf), der geht nicht hin, um dann ein paar Tage später putzmunter wie ein Goldhamster im Laufrad irgendwoein lukratives Turnier zu spielen. Diejenigen, die gern hingehen, sind meist jene, die den Schutz des Rudels suchen, weil sie zu jung, zu alt oder zu rückhandschwach sind, um sich auf Dauer allein in freier Wildbahn durchsetzen zu können.

Der Tennisprofi: Ein scheuer Einzelgänger mit ausgeprägtem Futterneid

Seinen Artgenossen steht der Tennisprofi reserviert bis ablehnend gegenüber. Er betrachtet sie ausnahmslos als Rivalen und, da ihm ein ausgeprägter Futterneid anhaftet, als Bedrohung für seine gesamte Existenz. Was in den meisten Fällen auch stimmt. Gern macht der Tennisprofi hämische Bemerkungen über Konkurrenten, die freundlichste Aussage, zu der man ihn bewegen kann, lautet: „Wir gehen zwar nicht gerade zusammen essen, aber wir grüßen uns.“ Ist der Tennisprofi männlichen Geschlechts, erstreckt sich seine Abneigung auch auf die weibliche Komponente seiner Spezies, die er gemeinhin verachtet und nicht für wert hält, mit ihm in einem Atemzug genannt zu werden.

Engere oder gar amouröse Verbindungen zwischen Tennisprofis unterschiedlichen Geschlechts kommen so gut wie nie vor, es sei denn, der Spieler stammt aus der Ukraine oder die Spielerin befindet sich im Ruhestand. Das Dasein einer Tennisprofigattin oder -freundin ist sehr beschwerlich, denn sie hat viele Stunden auf unbequemen Tribünen zu verbringen und so zu tun, als interessiere sie, was auf unten dem Platz vor sich geht. Das Dasein eines Tennisprofigatten oder -freundes hingegen ist unproblematisch und angenehm, es sei denn, es handelt sich um Anna Kurnikowa.

In der Phase der Tennisprofiwerdung sind die jungen Exemplare der Gattung allgemein unbeliebt, weil sie ständig toben, heulen, mit Schlägern werfen oder mit ihren Erfolgen prahlen. Darum schließen sie sich stark an ihre Eltern an und werden diese später nicht mehr los. Wenn doch, suchen sie sich Ersatzväter, die sie dann noch schwerer los werden (Tiriac!). Die Väter weiblicher Tennisprofis trinken und raufen gern und landen früher oder später alle im Gefängnis. Die Mütter junger weiblicher Tennisprofis stellen die Umkleidekabinen bei Turnieren mit Vorliebe als Haifischbecken voller lesbischer Mannweiber und Augenauskratzerinnen dar. Die alteingesessenen Spielerinnen versichern, dass in den Kabinen eine wunderbare Atmosphäre und fantastische Kameradschaft herrsche, bevor sie den Töchtern der betreffenden Mütter die Augen auskratzen.

Wenn Tennisprofis ein gewisses Alter erreichen, werden sie Publikumslieblinge, außer Ivan Lendl. Auf einmal wird den ehemals größten Kotzbrocken (Connors), Psychopathen (McEnroe), Langweilern (Edberg), Zimtzicken (Evert) oder Sachbearbeiterinnen (Graf) allenthalben frenetisch zugejubelt, weshalb sie glauben, endlose Abschieds- und Veteranentourneen unternehmen zu müssen, selbst wenn sie inzwischen aussehen wie Guildo Horn (Nastase!). Andere hören etwas früher auf, weil sie „das viele Herumreisen satt haben“, „keine Herausforderung mehr sehen“ oder „auf ihren Körper hören müssen“, also nicht mehr mithalten können. Dann sind sie Ex-Stars, und wenn sie mal ein Grand-Slam-Turnier gewonnen haben, werden sie Daviscup-Kapitän. Nur in Deutschland reicht es, bei einem Grand-Slam-Turnier dabei gewesen zu sein. Andere werden Teamchef, weil sie da weiter hämische Bemerkungen machen können und den frechen jungen Hüpfern unter die Nase reiben, dass sie das alles viel besser konnten und eigentlich auch noch könnten, wenn sie nur wollten. Wenn nichts mehr hilft, gehen sie zum Fernsehen.

Insgesamt ist der Homo racketensis ein harmloser und nicht selten freundlicher Geselle. Bis vor kurzem war er akut vom Aussterben bedroht, wurde dann aber gerade noch rechtzeitig im Pay-TV unter Naturschutz gestellt.Der Autor ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen. (Wissenschaftliche Mitarbeit: Matti Lieske)

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