: Sonnengott mit Pump-Gun
■ Für immer Punk: Ansgar Schnizer war Kunstaktivist und Physiker. Doch dann starb der Österreicher bei einem Motorradunfall. Eine Ausstellung in Linz erinnert an das Multitalent
Mit gerade 31 Jahren ist Ansgar Schnizer auf dem Motorrad die Klippen hinuntergestürzt. So steht es jetzt malerisch dargestellt von Wolfgang Capellari im Kunst-Raum an der Linzer Goethestraße. Das war vor über sechs Jahren in Japan. Der in Eitempera auf Leinwand porträtierte Schnizer arbeitete als Physiker im Kernforschungszentrum Jülich, daneben auch in Graz, Wien und zuletzt in Kioto. Im Kunst-Raum ist er allerdings wegen seines „hochgradig ästhetischen Lebensstils“ gelandet, wie es im Pressetext heißt.
„ansgar war spass und party, seine kunst spiel“, beschreibt die Kuratorin Eva Ursprung ihre Erinnerung an den Verstorbenen. Ansgars Punkkonzerte und das entsprechende Stagedesign waren ein durch und durch inszenierter Akt. Die im chinesischen Revolutionsstil gehaltenen Kulissen bedeckten fast vollständig die Band und ließen für das Publikum nur durch schmale Öffnungen einen Blick auf Gesichter oder Instrumente zu. Der frühere „Szene-Motor“ aus Graz präsentierte sich in den 80er-Jahren als Meister der Punk-, Comic-, Trivial- und Populärkultur. Dabei verstand er sich stets als Hobbyist, dem nie an einer Professionalisierung seines künstlerischen Treibens gelegen war.
Weil Eva Ursprung einen längeren Film zu Ansgar Schnizer plant, lud sie letzten Herbst schon mal über ein Dutzend FreundInnen und KollegInnen ins Grazer Forum Stadtpark ein. Gemeinsam stellten sie Objekte und Videos, Partys und Konzerte auf die Beine. Das nun in Linz gastierende Memorial „remember ansgar!“ ist eine wilde Mischung aus Kollaborationen, Einzelobjekten, Tributen und Dokumenten. Michael Zinganel baute dafür aus Pappkartons die „Fix & Foxi“-Villa Knox nach. Als „Atelier eines zerstreuten Wissenschaftlers und Erfinders“ versucht Zinganel mit der Pappbude Schnizers scheinbar unvereinbare Doppelprofession als Atomphysiker und Kulturaktivist zu überdachen.
Schnizer pendelte dabei zwischen High-Tech und Low-Art. Peter Sandbichlers Video erinnert deshalb auch an die schwarzen Ballons aus dem Yps-Magazin, die von der Sonne aufgewärmt poetisch in den Himmel aufsteigen sollten. Aber nicht nur KünstlerfreundInnen, sondern auch spätere BerufskollegInnen aus der Wissenschaft trugen ad hoc ihre liebevollen Erinnerungsstücke bei: Helmut Kaplan montierte eine Wandarbeit aus Diplomarbeiten, Tabellen, Briefen und Objekten als Farbkopie-Patchwork zusammen.
Von Schnizer selbst findet sich etwa eine mit fehlfarbenen Spiegeleierbildern beklebte Plastikjacke, ein gewindeltes und lebkuchenflaches Männchen oder selbst gemachte, überdimensionierte Möbel, die ihn als Erwachsenen Tag für Tag zum Kind machten. „He is innocent – er ist unschuldig“, erinnert sich eine japanische Freundin in Eva Ursprungs Videointerview an den verstorbenen Kindskopf. Doch seine Naivität war wohl auch taktischer Natur: Schaumgummi-MPs, angemalt wie grellneone Pump-Guns, dienten Ansgar Schnizer als Aktionsmittel beim unblutigen Nachstellen der Schleyer-Entführung 1986. Die „Polenta-Bande“, wie es der Abspann des Videos vermerkt, schneidet dem überfallenen Grazer Kulturstadtrat Helmut Strobl ebenso rasch wie karnevalesk die Krawatte ab und braust mit dem Mercedes davon.
Nicht nur, um Kulturpolitiker zu bestechen, sondern auch an seine große Liebe Pipilotti Rist schickte der junge Ansgar ein geschnitzes Geldbündel aus bemaltem Pappelholz. Damit sollte der Angebeteten eine Anreise aus der Schweiz ermöglicht werden. Die zwischen New-Wave-Aktionen und nun recht arrivierter Videokunst pendelnde Kollegin revanchierte sich 1997 mit zwei materialvollen Doppelseiten „Ansgar Schizer ist Sonnengott“ im Zürcher Kulturmagazin du. Seine Traumfrau blieb jedoch Inger Nilsson, die Darstellerin von Pippi Langstrumpf. Ihr wollte er einmal seine Milchzahn-Sammlung vermachen. Dies erzählt Claudia Märzendorfer im Untertitel zu ihren Lebkuchen-Rekonstruktionen nach dem Vorbild der Aktionsobjekte aus Schnizers Sammlung.
In der Erinnerung findet sich auch noch manch liebreizendes Fundstück zu Schnizers „Liebe zum subversiven Eingriff in den öffentlichen Raum“. Denn forever Punk war bei ihm auch die politische Intervention – das hat Pogo Erjautz anhand der „original Stapoakten in Zusammenarbeit mit der Bundespolizeidirektion Graz/Abt. 1, Staats-, Objekt-, Personenschutz“ rekonstruiert. Schon im Frühjahr 1984 bemühte sich die neonazistische NDP um den Einzug ins Parlament. Otto Scrinzi, der für die Sterilisierung von „Unbegabten“ eintrat, bewarb sich damals für die Nationalratswahlen. Doch wie stets wurde der Staatsschutz nicht etwa gegen die rassistischen Hetzer, sondern auf das Antifa-Komitee Steiermark angesetzt. Während der laut Ausstellung vormalige SS-Sturmbannführer im Heimatsaal Graz auftrat, demonstrierte polizeilich abgesperrt vor der Tür auch Ansgars Kumpel Pogo: „Ich hatte die Zwille in der stinkenden Lederjacke, Slime-Songs im Ohr und inspizierte die Baustelle in der Paulustorgasse nach lockeren Pflastersteinen. Und dann kam Ansgar mit Waffen, wie sie effektiver nicht sein konnten“ – nämlich aus Karton und Pappelholz.
Die ganze Situation rutschte in ein libertäres Chaos, an das sich der damalige leitende Staatspolizeibeamte auch heute noch erinnern kann. Aus dem Straßenkampf nach den Vorbildern Berliner Hausbesetzertage wird ein Akt der formalen Befreiung. Dem NDP-Kandidaten blieb 1984 der Weg ins Parlament jedenfalls verschlossen. Nun liegt die Geschichte mit der Pappdeckelsperre in den Stapoakten. Jochen Becker
Bis 18. Februar, Kunst-Raum Goethestraße, Linz. Informationen im Internet: www.kunstraum.at
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