: Menschenhaltung im Hundezwinger
In Italien regt sich vorsichtiger Protest gegen die unwürdige Abschiebehaft tausender Ausländer in großen Lagern fernab der Öffentlichkeit. Nicht einmal die medizinische Versorgung ist gesichert
Rom (taz) – Dutzende Mannschaftswagen mit hunderten schild-, stock- und helmbewehrten Polizisten und Carabinieri stehen am Samstag nachmittag vor dem kleinen römischen Vorortbahnhof Ponte Galeria bereit, um die Demonstranten zu empfangen. Ponte Galeria am äußersten Stadtrand Roms ist auch den meisten Römern nur als letzte Bahnstation vor dem Flughafen Fiumicino geläufig: Landidylle, getrübt von ein paar hässlichen Kästen aus den 60er und 70er Jahren, die wahllos längs der Provinzstraße hochgezogen wurden.
Ponte Galeria – das ist aber auch Roms „Zentrum für temporären Verbleib und Betreuung“. Hinter Schloss und Riegel, weitab von den Augen der Öffentlichkeit, werden hier von der Polizei aufgegriffene Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis verwahrt, denen die Abschiebung aus Italien bevorsteht.
An diesem Samstag aber ist die Öffentlichkeit ins Umland gefahren: 4.000 Demonstranten haben sich eingefunden, um die Schließung des Lagers zu fordern: an der Spitze Bangladeshis, Pakistani, Südamerikaner und Nordafrikaner, hinter ihnen Jugendliche der Centri sociali, der besetzten autonomen Zentren, genauso wie schon etwas gesetzte ältere Herrschaften mit den Fahnen der Rifondazione Comunista.
Die Demo selbst wird zum Anschauungsunterricht, wie perfekt das Lager isoliert ist. Endlos geht es über eine Asphaltpiste durch menschenleeres Gebiet, rechts die Flughafenautobahn, links ein paar verwaiste Lagerhallen, am Straßenrand immer mal wieder ein Reklameschild für Kloschüsseln oder Einbauküchen – und außer den vorneweg marschierenden Polizeikolonnen und einer friedlich grasenden Schafherde kriegt niemand die Slogans mit: „Wir sind alle Illegale“, „Schließt die Lager, öffnet die Grenzen“.
Nach drei Kilometern schließlich das Lager, ein einige hundert Meter langes wie breites Geviert, umgrenzt erst mit einem Maschendrahtzaun, dann mit einer gut vier Meter hohen Betonmauer. „Mit Ponte Galeria und zehn weiteren Lagern hat Italien sich Schengen-tauglich gemacht“, erklärt Virginia Valenti, die mit dem „Projekt Bürgerrechte“ juristischen Beistand für Ausländer organisiert. „Zwar ist der illegale Aufenthalt nur eine Ordnungswidrigkeit, aber das Ausländergesetz von 1998 gestattet trotzdem die Inhaftierung in einem dieser Lager.“
Und wer einmal drin ist, hat weniger Rechte als jeder gewöhnliche Strafhäftling. Besuche sind nur engsten Verwandten gestattet –und wie beweist ein Illegaler ohne gültige Dokumente seine Verwandtschaftsverhältnisse? Kontakte zu Rechtsanwälten sind fast unmöglich, und selbst die Begrenzung des „Verbleibs“ auf 30 Tage wird oft genug durch die erneute Inhaftierung gerade Freigelassener umgangen.
„Sogar eine Tasse Kaffe oder ein Glas Wasser gibt’s nur nach Erlaubnis vom Aufsichtspersonal. Nicht einmal die angeblich gesicherte ärztliche Betreuung ist dort gewährleistet“, konstatiert Baatshu, Bangladeschi und Sprecher der Vereinigung „Ausländer für Ausländer“, „an Weihnachten ist hier im Lager ein Tunesier gestorben, aber der Arzt traf erst Stunden nach seinem Tod ein“.
Sich ein Bild über die Zustände im Lager zu verschaffen, mit den Weggeschlossenen zu sprechen, ist deshalb eines der wichtigsten Ziele der Demonstranten. Nach stundenlangen Verhandlungen darf eine kleine Gruppe rein: drei Parlamentsabgeordnete von Rifondazione Comunista und den Grünen, ein Priester, einige Vertreter der Ausländerorganisationen.
Als sie schließlich wieder herauskommen, wird klar, warum Beobachter sonst drinnen nicht gern gesehen sind: „Das ist kein Gefängnis, das ist ein Zoo“, berichtet Pater Vitaliano della Sala. „Keine Spur von der im Gesetz reklamierten Menschenwürde, die angeblich in den Zentren zu gewährleisten ist. Da drinnen haben sie vier enorme Käfige im Freien errichtet, und hinter den Gittern sind die Baracken, in denen die Häftlinge untergebracht sind. Raus aus den Baracken können sie jederzeit – zum Auslauf in ihrem Hundezwinger.“
Michael Braun
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