: Die Mafia aus Marbella
Nur mit gefälschten Bilanzen konnte Atlético de Madrid bislang überleben. Nun kämpft der spanische Traditionsclub um den Klassenerhalt, und Ex-Präsident Jesús Gil y Gil droht Gefängnis
aus Madrid REINER WANDLER
Kostenlose Busse zu den Auswärtsspielen, Subventionierung jeder Eintrittskarte mit 25 Mark – der Leitung von Spaniens Traditionsclub Atlético de Madrid scheint nichts zu teuer, um die Mannschaft vor dem Abstieg in die zweite Liga zu retten. Doch es hilft alles nichts. Die Rot-Weißen verlieren seit Anfang Januar ein Spiel nach dem anderen. Nachdem das 1:1-Unentschieden gegen den Lokalrivalen Real Madrid vor zwei Wochen von den Fans noch wie ein Sieg gefeiert wurde, nimmt die Krise jetzt immer deutlicher Gestalt an. Am letzten Wochenende musste der Keeper von Atlético selbst gegen einen so schwachen Gegner wie Numancia Soria drei Mal hinter sich greifen. Der von Numancia – in der Liga die Nummer 14 – langweilte sich derweil in seinem Tor. Zwei Mannschaften, die ums Überleben in der ersten Liga kämpfen, und doch liegen fußballerische Welten dazwischen.
Mittlerweile ist Atlético Vorletzter, drei Punkte von einem Nichtabstiegsplatz entfernt. Zwar bleiben noch acht Spieltage bis Saisonende. Doch die Liste der Gegner, die auf das Madrider Krisenteam warten, lässt nur wenig Hoffnung aufkommen. Ligaführer Deportivo La Coruña und Verfolger FC Barcelona gehören ebenso dazu wie das heimstarke Athletic Bilbao.
„Wenn wir so weitermachen, ist uns der Abstieg gewiss“, erklärte Trainer Radomir Antic nach dem Spiel gegen Numancia. Der serbische Coach, der die Rot-Weißen 1996 zum Doppelsieg in Liga und Pokal führte, kehrte erst Anfang des Monats als Retter in das Stadion am Madrider Fluss Manzanares zurück. Er löste den gescheiterten Italiener Claudio Ranieri ab. Sportlich änderte sich nur wenig. Ein alles andere als zielsicherer Sturm und eine zerfahrene Abwehr prägen das Bild. Antic versucht die Mängel vorn zu beheben, hinten tun sie sich seither nur noch mehr auf.
Auch personell hat die heutige Elf hat nur noch wenig mit der Siegermannschaft von 1996 gemein. Der Club-Präsident und fast Alleinbesitzer der Aktiengesellschaft Atlético de Madrid, Jesús Gil y Gil, benutzte die Mannschaft zu Saisonbeginn einmal mehr als Geld bringenden Steinbruch. Er verkaufte alles was Rang und Namen hatte. Der Argentinier Diego Pablo Simeone zaubert heute bei Lazio Rom, der aus Sevilla stammende Stürmer José Marí, der Italiener Christian Vieri und der Serbe Vladimir Jugovic bei Inter Mailand. Vieri wechselte als teuerster Spieler aller Zeiten den Club, und José Marí erzielte einen Preis wie vor ihm kein anderer Spanier. Die Erlöse strich die Spieleragentur ein – die gleiche, die die Fußballer einst für eine stolze Summe Atlético überlassen hatte. Deren Besitzer: Atlético-Präsident Gil.
Neues brauchbares Personal kam nicht nach. Und das wird sich auch nicht ändern. Denn seit Dezember wird das Unternehmen Atlético de Madrid von einem Gerichtsvollzieher geleitet. Gegen Präsident Gil wird ermittelt. Der Mann, der den Club und sein gesamtes Immobilienimperium vom Rathaus des südspanischen Luxusbadeort Marbella aus lenkt, soll die Clubfinanzen gefälscht, Steuern in Millionenhöhe hinterzogen und Spieler mit Schwarzgeld bezahlt haben.
Jesús Gil und der technische Direktor, sein Sohn Miguel Angel Gil, gingen so weit, dem Club angebliche Fußballprofis zu verkaufen. Die tauchten zwar nie auf dem Rasen auf, bezahlt wurden sie dennoch. Die Clubkassen wurden immer leerer, die der Gilschen Unternehmen immer voller. Nach richterlichen Erkenntnissen hätte Atlético schon längst in die dritte Liga zwangsabsteigen müssen, hätte Gil die Bilanzen nicht gefälscht.
„Wir wissen nicht, in wessen Händen wir enden werden“, erklärt Mittelfeldspieler Kiko, einer der alten Garde. In der Sportpresse wird seit Wochen genau darüber spekuliert: Der sportliche Zerfall des Clubs sei beim ehemaligen staatlichen Kommunikationskonzern Telefónica und beim Presseimperium Prisa gerne gesehen. Beide betreiben ein digitales Satellitenfernsehen. Ein Traditionsclub würde dort gut in die Palette passen. Je billiger die Aktiengesellschaft Atlético de Madrid zu haben ist, um so besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen