: Frau aus der Maschine
■ Nicht ganz neu im Kino: Der Argentinier Eliseo Subiela lässt „Stirb nicht ohne mir zu sagen, wohin du gehst ...“ Kinobilder sterben und Traumbilder aufleuchten
Paul Verhoevens „Total Recall“ (1990), Kathryn Bigelows „Strange Days“ (1995), „Matrix“ von den Wachowskibrüdern und mittlerweile auch schon jede Menge drittklassige TV-Serien spekulierten hübsch zeitgemäß drauf los, welch Freud und Leid der Menschheit blühen, wenn in unsere Gehirnwindungen künstliche Bilder und Erlebnisse eingeschleußt werden. Leopoldo dagegen glaubt inbrünstig, dass atemberaubende neue Bildwelten nicht aus dem Silizium kommen werden, sondern aus unserem eigenen tollen Unterbewuss-ten. Also entwickelt der Filmvorführer eine Maschine, die unsere Träume und manchmal sogar unsere Zukunft sichtbar macht – übrigens gerade passend zur Schließung seines Kinos, quasi als dessen bessere Fortsetzung. Dieser liebenswerte Atavismus in Zeiten digitalen Overkills, ist eigentlich schon das Beste, was man in „Stirb nicht, ohne mir zu sagen, wohin du gehst“ (1995) entdecken kann. Denn ansonsten regiert Kitsch diesen Film des Argentiniers Eliseo Subiela, der immer schon die Gemüter polarisierte. Dieser Kitsch ist nämlich derart hemmungslos, dass man entweder lustvoll in postmoderner Trotz-allem-Haltung in diese verschatteten, schweigsamen, melancholischen Gefilde wegtaucht, oder sie verachtet. Und so sahnt dieser 56-jährige – ighitt – Wilhelm-Reich-Fan für seine Filme (o Gott, diese halb überpathetisierten, halb deliranten Titel: „Die dunkle Seite des Herzens“, „Wach auf, Liebe“, „Der Mann, der nach Südosten blickte“) ebensoviel Preise (etwa den von Montreal) wie Spott ab. Diese Filme widmen sich bevorzugt desillusionierten MÄNNERN, die durch archetypische Frauen (z.B heilige Huren) einen Revitalisierungsschub erfahren.
Zurück zu Leopoldo. Er gehört zu jener Klasse von Menschen, die mit ihrer Topfpflanze eine innige Seelenfreundschaft verbindet. Seine Esoterikanfälligkeit entspricht der von Subiela selbst. Kein Wunder, dass die Frau in Leopoldos Träumen eine echte Traumfrau im altmodischen Sinn ist, also mit weißen Rokokorüschen am Gesäß, einem ultramelancholischen romantischen Lied in der Kehle und großen, schwarzen Augen.
Bald schon begleitet sie ihn als Geisterscheinung durch seinen tristen familiären und beruflichen Alltag. Was die Gelegenheit bietet zu endlosen Reflexionen darüber, wie frustig es ist, eine/n Geliebte/n zu sehen, aber nicht beknutschen zu können. Natürlich lieben sich die beiden schon seit Jahrhunderten über viele Reinkarnationsstufen hinweg.
Manchmal gibt sich der Film schwer vergrübelt: Kommen die Traumvisionen aus uns selbst, oder sind sie von anderen Entitäten, Aliens, Geistern der Vergangenheit oder der Zukunft eingeflüstert. Keine Sekunde lang aber herrscht Zweifel an 1. der großen Liebe fürs Leben, 2. der Wiedergeburt, 3. dass alles Leiden einen höheren, didaktischen Sinn hat, 4. dass der Wille Berge versetzt, 5. ..., 6. ... Außerdem sind unsere Träume niemals trival, gemein oder böse. Manchmal haben ja derlei Privatreligionen bei aller intellektuellen Notdurft ihren Charme. bk
Kino 46, Do, Fr, Di 18 Uhr, Sa, Mo 20.30 Uhr
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