: Fossil zeigt sein Herz aus Stein
Vor 66 Millionen Jahren schlug das versteinerte Herz noch in der Brust eines Dinosauriers. Die überraschende Entdeckung kann zur Aufklärung über das Leben der Dinos beitragen. Waren die Urzeitriesen vielleicht doch Warmblüter?
von IRENE MEICHSNER
Gleich sieben Kardiologen hatte Andrew Kuzmitz, ein Arzt und Hobbypaläontologe aus Ashland im US-Bundesstaat Oregon, zu sich gebeten. Sie sollten eine Computertomographie (CT) begutachten. Das Urteil der Herzspezialisten war einstimmig: Sie sahen ein Herz. Was sie nicht ahnten: Dieses Herz schlug vermutlich vor 66 Millionen Jahren im Brustkorb eines Dinosauriers. Und weil es mehr den Herzen von Vögeln und Säugetieren ähnelt als den Herzen von Krokodilen und anderen Reptilien, schlagen nun auch die Herzen vieler Dinosaurierforscher höher. Waren die Dinos Warmblüter?
„Der Fund stellt fundamentale Theorien über die Entwicklung der Dinosaurier in Frage“, meint der Paläontologe Dale Russell, Leiter eines Forscherteams, das im US-Magazin Science über das erste Dinosaurierherz berichtete. Die Entdeckung stützt die Hypothese, dass zumindest einige Dinosaurier die Vorfahren der modernen, ebenfalls warmblütigen Vögel waren. Noch ist der Fund nicht vollständig klassifiziert. Doch fest steht, dass es sich um einen etwa 300 Kilo schweren, vier Meter langen, zweibeinigen Pflanzenfresser von der Art Thescelosaurus handelt, der am Ende der Kreidezeit lebte, rund eine Million Jahre vor dem Aussterben der Dinosaurier. Die Forscher tauften ihn „Willo“ – nach der Ehefrau des Farmers, auf dessen Grundstück in South Dakota ihn Michael Hammer, ein professioneller Fossilienpräparator, 1993 fand.
Im Brustkorb fiel Hammer eine rostfarbene Verdichtung auf – eigentlich jene Art lästiger Versteinerung, die Paläontologen normalerweise abkratzen, wenn sie Fossilien präparieren. Doch Hammer wusste, dass solche „Steine“ Überraschungen bergen können. Er hatte in ähnlichen Stücken an der Küste des Pazifik schon fossile Krabben oder kleine Köpfe von Robben gefunden. „Ich betrachte sie seitdem als kleine Schatzkisten“, sagt Hammer. Bevor er das Skelett seinem neuen Besitzer, dem Naturkundemuseum in Raleigh, North Carolina, übergab, machte Andrew Kuzmitz die erste Serie von zweidimensionalen CT-Aufnahmen aus der Brustregion. Mit einer Software, die ursprünglich für medizinische Zwecke entwickelt wurde, erzeugten Fachleute um Paul Fisher von der Universität in North Carolina daraus dreidimensionale Bilder. Sie zeigten zwei Herzkammern und die Aorta: Der rötlich-braune, etwa grapefruitgroße Klumpen in Willos Brust war ein fossiles Herz.
Noch sind nicht alle Kollegen von der Herzhypothese überzeugt. Paul Sereno, Paläontologe an der Universität von Chicago, äußerte „ernste Bedenken“, weil er sich nicht vorstellen könne, wie sich ein Organ über so lange Zeit erhalten könne. Aber auch darauf weiß Russell eine Antwort. Das Herz sei vermutlich durch einen Prozess konserviert worden, den man „Verseifung“ nennt. Dabei können sich Weichteile in einer feuchten, sauerstofffreien Umgebung in eine seifenähnliche Substanz verwandeln, so dass sie versteinern, statt zu zerfallen. Zudem vermuten die Wissenschaftler, dass chemische Reaktionen zwischen dem blut- und eisenreichen Herz und Mineralien des Grundwassers die Umrisse des Organs erhalten konnten.
Für Paul Fisher ist das Herz in Willos Brust ohnehin erst der Anfang: Es sei das erste, aber bestimmt nicht das letzte Mal, dass die medizinische 3-D-Software von Dinosaurierforschern benutzt würde: „Es ist eine verblüffende Anwendung dieser Technologie. Sie gibt uns die Möglichkeit, in Fundstücke hineinzuschauen, ohne sie zu zerstören.“ Mit Nachdruck fordern die Autoren ihre Kollegen in Science auf, künftig verstärkt auf Spuren von Weichteilen zu achten. Fisher wird es ganz mulmig bei der Vorstellung, wie viele Hinweise auf Organe in der Vergangenheit womöglich von Forschern übersehen wurden.
Willos Überreste sind im Naturkundemuseum von Raleigh ausgestellt – eingebettet in den Sandstein, in dem er seit 66 Millionen Jahren ruht. Wer sich einen persönlichen Eindruck verschaffen will, kann Willo im Internet unter http://www.dinoheart.org in Augenschein nehmen.
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