: Glockenhelle Schubidubidus
File under Pop, London, Ambitioniertheit, Geschmack: Trotz verschiedener Berliner Einflüsse sorgen Saint Etienne auf ihrem neuen Album wieder für die großen Gefühle im kleinen Programmkino
von GERRIT BARTELS
Gut möglich, dass einigen Menschen die Haare zu Berge stehen, wenn sie in diesen Tagen ihre Lieblingsband Saint Etienne im Musikfernsehen sehen. Und zwar nicht in einem Saint-Etienne-Video, sondern in Paul van Dyks „Tell Me Why (The Riddle)“, wo Saint Etienne das gewohnt stumpf arrangierte Bummbumm von van Dyk als Vocalgroup begleiten. Eine Konstellation, die nicht recht zusammenpassen mag: Hier Paul van Dyk, File under Techno, Berlin, Ballermann, Love Parade, dort Saint Etienne, File under Pop, London, Ambitioniertheit, Geschmack.
Der Track aber funktioniert leidlich, und auch die Zusammenarbeit hat ihre Gründe: Paul van Dyk ist ein großer Fan von Saint Etienne, und Berlin war im vergangenen Jahr eine ganze Weile lang die Heimstatt der englischen Band. Darüber hinaus beweisen Sarah Cracknell, Pete Wiggs und Bob Stanley schon seit der Gründung von Saint Etienne Anfang der Neunzigerjahre, dass sie keine Berührungsängste haben und sich auskennen in der Musikgeschichte: Von Northern Soul über Dub bis zu Euro-Disco reicht in ihren Songs die Bandbreite der Zitate und Referenzen, von Neil Young über Steve Reich bis hin zu Burt Bacharach.
Ihre Definition von Pop ist eine reichlich erlesene. Ihre Welt hat ihnen der Generation-X-Erfinder Douglas Coupland in den Liner Notes zu ihrer letzten Platte so beschrieben: „a world in which all the women wear pearls and are able to sing in key, and one where the men drive sportscars and never stumble – a world where nostalgia is beside the point because we all of us live inside a bright glorious present“.
Von Mass-Appeal oder Ibiza keine Spur, Saint Etienne machen Musik für Kenner und lassen bei aller Schönheit den gemeinen Hörer gern mal außen vor. Missverständnisse wie das mit Paul van Dyk all inclusive. Natürlich sind sie nun in Berlin auch anderen Leuten über den Weg gelaufen. Den Gebrüdern Lippok und Stefan Schneider von To Rococo Rot zum Beispiel. Von denen ließen sie sich unter tatkräftiger Mithilfe eines anderen, eher alten Bekannten, der Brian-Wilson-Reinkarnation Sean O’Hagan (High Llamas), die Stücke für ihr neues Album „Sound Of Water“ produzieren. Versus Postrock, versus Beach Boys: So heißen die neuesten Kapitel im Saint-Etienne-Poesiealbum, ohne dass die Band dabei aber den Überblick verlieren würde. Denn auf „Sound Of Water“ fiept, bleept und zwitschert es zwar ordentlich, da mag ambitioniert an tausend Knöpfchen gedreht worden sein, und hin und wieder gibt es auch High-Llamas-Feelings. Doch insgesamt haben sich To Rococo Rot und O’Hagan dem Stilwillen und den mitunter ätherischen, schwerelosen Stimmungen von Saint Etienne brav untergeordnet, dabei insbesondere der Stimme von Sarah Cracknell. Denn es gibt nur wenige Sängerinnen, die so glockenhell Lalalas und Schubidubidus anstimmen können wie Cracknell, um dann aber nur Augenblicke später mit reichlich dunklem Timbre darüber zu singen, wie man sein Herz auf dem Rücksitz eines Taxis verliert oder ein langer Sommer einen richtig fertig macht. „Sound Of Water“ transportiert große Gefühle in das kleine Programmkino – man darf einfach auch Pop dazu sagen, aber nie Popularität denken.
Nur blöde, wenn nun ausgerechnet der Sidekick „Tell Me Why“ ein großer Hit werden sollte, mit Love-Parade-Dauereinsatz und so. Das wäre komisch, ironisch, vor allem aber tragisch. Da würden sich Saint Etienne dann wohl wie in einem falschen Film vorkommen.
Saint Etienne: „Sound Of Water“(Mantra/ PIAS/ Connected), Paul vanDyk feat. Saint Etienne: „Tell Me Why(The Riddle)“ (Vandit Records)
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