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Unser sozialdemokratischer Geschichtslehrer

■ Billy Bragg redet und macht Musik und zeigt Gefühle im Rolf-Liebermann-Studio

Um Ettikettenschwindel kann es sich bei einer Veranstaltung, die als "Billy Bragg talks and plays Woody Guthrie" angekündigt wird, auf keinen Fall handeln. Denn auch bei einer als "Konzert" angekündigten Veranstaltung mit Billy Bragg wird fast so viel geredet wie bei einer Talkshow. Darüber, dass Tony Blair ein schmieriger Betrüger und ein Feind der Arbeiterklasse ist, darüber, wie lustig und wie peinlich es auf den Festivals des politischen Liedes in der DDR war und darü-ber, dass Kotteletten scheiße aussehen. Auch der zweite Teil der Ankündigung dürfte verlässlich sein, denn in den letzten Jahren war Billy Bragg hauptsächlich als Woody Guthries Nachlassverwalter tätig.

Gemeinsam mit den Roots-Ro-ckern Wilco hat er bereits die zweite Platte mit Vertonungen von Texten aus dem Guthrie-Archiv aufgenommen. Diese Aufgabe hatte ihm Nora Guthrie, Tochter des 1967 gestorbenen Protestsängers, übertragen. Und zwar weil sie der Meinung war, der Brite würde genügend geographische und musikalische Distanz mitbringen, um nicht in simple Heldenverehrung zu verfallen. Auf eine Art ist diese Rechnung auch aufgegangen. Denn die Mischung aus Braggs Cockney-Genäsel, angenehmem Americana-Sound und den Texten aus den 30er- bis 50er-Jahren ist, wo nicht nur gefällig, einigermaßen irritierend.

Aber Cockney hin und Hobo-Slang her, Billy Bragg hat immer versucht, so etwas wie ein Folk- und Protestlied mit jugendlichem Antlitz zu kreieren. Und diese Bemühungen gipfeln nur zu passend in einer versuchten Wiedererweckung der stilbildendsten aller weißen Protestsänger-Figuren. Diese Figur, der Mann mit der Gitarre, der die einfachen Leute nicht nur unterhält, sondern auch politisch erzieht, hat es Billy Bragg enorm angetan. Deshalb ist er für die sozialdemokratischen Medien in Großbritannien auch der optimale Experte für den Zusammenhang zwischen Pop und Politik. Ob in Artikeln im Guardian oder in Serien über die Geschichte des politischen Liedes auf dem Kulturkanal der BBC, als freundlicher Geschichtslehrer erinnert er an den klingenden Klassenkampf.

Altbacken und sozialdemokratisch ist das tatsächlich oft. Neumittig ist es aber nicht. Denn Billy Bragg bastelt nicht nur an seiner engagierten Künstlerpersönlichkeit, er treibt dazu noch Geld und Aufmerksamkeit für wilde Streiks wie den der Detroiter Druckerinnen und Drucker auf. Und in der Rolle des Historikers hat diese Mischung aus Guthrie und Joe Strummer einen adäquaten Platz im Pop gefunden: Es gibt noch einen Klassenwiderspruch und Männer sollten ihre Gefühle manchmal zeigen.

Georg Felix Harsch

heute, 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio, Oberstraße 10

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