: Blei für das neue Jahrtausend, mindestens
■ Geht es nach „Korn“, ist Lautstärke immer noch das beste Argument in der Schwermetall-Industrie : In der Sporthalle rockten sie für mehr Army-Hosen
„I'm blind!“, schallt es Jonathan Davis, dem Front-Derwisch von Korn, aus der springenden Menge entgegen. Denn natürlich wissen alle Bescheid. Eingeübt ist jede Zeile der vier Korn-Alben, bejubelt wird jede martialische Geste der Kalifornier.
„I'm deaf!“ wäre passender gewesen. Denn es ist vor allem laut in der akustisch überforderten Sporthalle. Ein wesentliches, wenn nicht entscheidendes Element ihres New Metal. Und der Grund, warum das Konzert drei Tage vorher von der Open-Air-Bühne im Stadtpark in die kargen Gefilde in Alsterdorf verlegt wurde. Lediglich 90 Dezibel sind in dem grasigen Halbrund zugelassen. Eher eine Kulisse für die alten Herren von Status Quo oder all die Kuba-Rentner, die hier im Sommer noch swingen werden. Doch zu wenig, um die Issues für ein neues Jahrhundert unter die Pilger zu bringen. Sagen Korn und bestehen auf mindestens 120 Dezibel – auf der Bühne wohlgemerkt.
So wird es schlicht bombastisch, akustisch wie auch optisch, als die ersten Töne von Falling away from me erklingen. Korn sind derzeit der Metal-Act schlechthin, und das wissen sie. Zu altbacken bleibt die Konkurrenz von Metallica, mit denen sie im Anschluss an die Europa-Tour in den Staaten touren werden. Vergessen sind all die 80er-Jahre-Helden der Headbanging-Liga. Korn definieren, was Metal im Jahr 2000 ausmacht, und geben ihm eine neue Existenzberechtigung. Vereint finden sich auch aktuelle Einflüsse wieder.
Nah am Harems-Eunuchen-Chor hiphoppt Davis, eher als Metal-klassisch in Mikro zu grunzen, während seine Mitstreiter an den Gitarren das Brett neu erfunden haben. Siebensaitige Gitarren und der fünfsaitige Bass von Fieldy erweitern den Frequenzbereich ins Schmerzhafte – an den Drums der unauffällige Ersatz von Faith No More.
Ungewohnt vereint auch das Publikum. 15-jährige Mädels versuchen sich im Kurzhaarschnitt-Schütteln. Punks freuen sich über die Zustimmung von der Westcoast und schreien mit gegen das Schweine-System. Allerlei baggy-trousers-Träger hüpfen zu den Dudelsack-Klängen von „Shoots and Ladders“. Und auch die konzerterprobte Army-Hose ist noch Uniform für die Kiddies. Fast unwirklich wirken da die vier Idole auf der Bühne, unnahbar und überlebensgroß. Am Bühnenrand schütteln sie synchron den Oberkörper, zeigen den Jüngern, wo der Druck ist. Im Hintergrund zwei Etagen mit Gitterkäfigen, gefüllt mit Fans.
Kurz und schmerzlos geht der bombastische Budenzauber zu Ende. Nach einer guten Stunde und der Zugabe „Blind“ ist ihr Auftritt konsequent vorbei. Genug Korn für die lechzende Masse. Vielleicht etwas unverschämt bei dem stolzen Eintrittspreis von über 50 DM. Aber wirklich böse waren die Is-sues-trunkenen Fans nicht wirklich. Volker Peschel
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