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flirtseminare, urania etc.Der Club der Einsamen Herzen trifft sich in der Urania

Zufriedene Singles

Singles und die Urania. Das korrespondiert. Es ist kein Geheimnis, dass die „Naturwunder Canada“-Dia-Shows und die „Bettina von Arnim – eine Frau im Spiegel der Jahrhunderte“-Vorträge den Sinn haben, dass schüchterne einsame Menschen einander dort finden.

Heute wird jedoch mit offenen Karten gespielt. Das Thema der Urania-Veranstaltung heißt „Singles und ihre Welt“. „Ergebnisse einer Studie“ soll es geben. Der Saal ist gut besucht, obwohl der Vortrag um 17.30 Uhr beginnt; eine Zeit, in der im Vorraum andere Senioren noch in der späten Nachmittagssonne sitzen und Käse-Sahne essen.

Professor Andreas Hejj ist Evolutionspsychologe an der Universität München. Er leitet auch Flirtseminare und weiß, das Publikum muss erst locker gemacht werden. Dafür spielt er eine Kassettenaufnahme von der Spider Murphy Gang vor: „Wo, wo bist du?“ Die Gäste sind alt genug, diese Musikgruppe noch zu kennen und sich in der Liedzeile „Willkommen im Club der einsamen Herzen“ zu Hause zu fühlen.

Früher galten Singles als Sonderlinge. Mitte der 70er-Jahre haben diese Vorurteile wegen der Pille nachgelassen, es gibt auch Singles „in der hohen Politik“, sagt Hejj. Er wedelt viele Folien über den Overheadprojektor. Die freiwilligen Singles seien vor allem zufriedene Frauen. „Wenn sie was anziehen wollen, können sie das tun“, erklärt Hejj. Die Unfreiwilligen seien überwiegend Männer, die ihrer alten Partnerschaft hinterherweinten. Dazu kommen die Resignierten – traurig, weil „Amor nichts für sie bereithält“.

Einige Zuhörer machen sich Notizen, eine ältere Dame sagt, sie sei schon lange allein und gar nicht zufrieden. Hejj hat herausgefunden, dass Single-Frauen im Schnitt überdurchschnittlich qualifiziert sind, männliche Singles indes eher unterdurchschnittlich. Auf der Folie weint ein gebeugtes Strichmännchen. Eine Frau im Publikum lacht triumphierend.

Für seine Studie hat Hejj 120 Mitarbeiter der Bayerischen Landesversicherungsanstalt Assoziationsspiele machen lassen. Zum Begriff „Kind“ fiel den Versicherungsbeamten am meisten ein, zu „Emanzipation“ am wenigsten. Emanzipation spiele heute keine Rolle mehr, ist Hejjs plumpes Ergebnis. „Kind“ assozieren verheiratete Versicherer mit „Liebe“ und „Freude“. Single-Versicherte kommen auf „Windeln“ und „Verantwortung“. Singles seien kreativer, findet Hejj. Das Publikum knurrt zustimmend.

Die Pfeildiagramme ergeben: Bei Männern ist eine Singlephase eine „sinnvolle Strategie“, um ihren Status zu erhöhen und bald nicht mehr allein zu sein. Bei Frauen wächst mit dem Status dagegen die Chance, dauerhaft Single zu bleiben. Überdies träumen Singles oft von Festungen mit Lebensmittelvorräten für viele Monate, sagt Hejj vernichtend. Einer aus dem Publikum stimmt zu.

Hejj bohrt das Messer noch tiefer in die Wunde. Es gibt massenhaft Leute, die mutlos in den Karteien Schweizer Heiratsinstitute verschimmeln mit der Ausrede „ich hab doch alles getan, mich will eben keiner“. Da fehle doch der Wille, wettert er. Als positives Lebensmodell berichtet er von einem Inselvolk, bei dem Männer und Frauen polygam leben. Für Seitensprünge wird von der Nachbarinsel eine Frau geraubt und zur freien Verfügung ins Männerhaus quartiert, erzählt Hejj euphorisch.

Ein Mann im Publikum möchte noch einmal die „achte Folie mit dem Fremdwort“ sehen. Er weiß nicht, was „Kontrazeption“ bedeutet, gibt es aber nicht zu. Eine Frau mit rotem Hut und Warzen fragt, ob es genetisch bedingt sei, dass Männer auf blonde Frauen stehen. Blond strahle babyhaftes Vertrauen aus, antwortet Hejj. Um Männer nicht zu verängstigen, sollten Frauen beim ersten Date ihre „dunkle Seite der Weiblichkeit“ ausschalten.

Das ist das, was die Leute hier eigentlich hören wollen. Kollektives Leiden steht im Raum. Man möchte Ratschläge vom Spezialisten. Der würgt aber die Frage der Warzenfrau nach den rothaarigen Frisuren genauso ab wie das weinerliche Klagen einer Dame über die Schüchternheit der Männer „im mittleren Alter“. Hejj verweist sie alle auf seinen nächsten Urania-Vortrag, bei dem es ums erste Treffen geht.

Viele gucken beim Rausgehen trotzdem etwas enttäuscht. Ein Mann läuft aufällig langsam die Treppe hinunter. Eine junge Frau sagt zu ihrer Freundin: „Es kommt beim Partner sowieso auf die Aszendentenbewegung an.“ Die Warzenfrau ist nach vorn gestürmt. Sie löchert den Professor sicherlich noch Stunden weiter. KIRSTEN KÜPPERS

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