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„Demokraten können überhaupt keine Väter sein“

■ Anja Gronau inszenierte in der „Fox Force Five“-Reihe „Nach die Rassen“ nach Ferdinand Bruckner

Von den fünf jungen Füchsen, die da seit Wochen bei „Fox Force Five“ den Abschied vom TiK zelebrieren, hat sie sich den schwierigsten Stoff herausgesucht. Anja Gronau inszenierte Nach die Rassen nach Ferdinand Bruckner, in Kooperation mit den Wiener Festwochen, bei denen – mit der recht harschen Begründung fehlender Qualität – keine Produktion als Sieger ermittelt wurde. Immer unsanfter wird da mit der beliebten Ware Jungregisseur umgegangen. Umgekehrt dokumentiert dieser Trend sich in der krampfhaften Suche junger Regisseure nach einer neuen Bühnensprache. Anja Gronau hat eine eigene und durchaus eigenwillige. Die Premierenbesucher im TiK wuSSte Gronau, die erst im vergangenen Jahr ihr Diplom im Studiengang Schauspiel-Theaterregie an der Hochschule für Schauspiel Hamburg ablegte, zu überzeugen.

Fünf junge Leute, vier adrett gekleidete, brav gescheitelte nette Jungs von nebenan und ein Mädel rennen auf die schmucklose Bühne, erobern einen imaginären Radio-sendesaal für Konzerte. Sie bersten vor Energie. Dazu brüllen sie Parolen wie „gegen Zukunftsangst“, „gegen die gültige Freiheit“, „für die Rückkehr zur geistigen Ausei-nandersetzung“. Später brüllt Helene: „Demokraten können überhaupt keine Väter sein“. Am Ende der maroden (Weimarer) Demokratie erahnen die jungen Leute das Herannahen des heroischen Zeitalters.

Ausweg scheint die „Bewegung“ zu sein. In gemeinsamem Anstimmen von HJ-Liedern erfährt die gebeutelte Jugend eine neue Sinnstiftung. Staat, Nation, Volkskörper erlangen eine gesteigerte Bedeutung von Reinheit und Unschuld. Der „reine Wille“ und die „Disziplin“ lassen ein „neues großes festliches Land“ erstehen, in dem die „Radiosonne immer auf Sendung ist“, auf der „Frequenz Himmel“. Das gilt aber nicht für alle in der Gruppe: Tessow (Will Workman) und Helene (Claudia Wiedemer), Freundin von Karlanner (Ingo Heise), sind Juden und also „haben sie das Herz nicht“ und „verhindern den Traum“.

Die 28jährige Anja Gronau flicht daraus ein Gesamtkunstwerk, betreibt eine Art Text-Sampling, das den Ursprungstext Die Rassen als Grundlage nimmt und mit Versatzstücken von Bronnen, Heidegger, Strauss oder Neurechten wie Alain de Benoist ergänzt. Bruckner schrieb den Text bereits 1933. Damals war es ein seherisches Stück, das die unerfüllte Sehnsucht nach Positionierung von jungen Menschen auf dem Weg ins Erwachsenendasein zeigte. Antisemitismus und Antimaterialismus, die Suche nach neuen Werten, gehen dabei eine verhängnisvolle Bindung ein. Anja Gronau interessieren vor allem die „Sehnsucht nach Sonne, nach Licht, nach Utopie, die auch falschen Definitionen Raum gibt.“ Nachgeforscht hat sie dafür auch bei der „Neuen Rechten“, die heute eine erschreckend abstruse Humanität in einem "differentiellen Antihumanismus" beschwört.

In ihrer empörten, kraftvollen Inszenierung arbeitet sie stark mit den Mitteln der Parallelität und Simultanität. Die ewig grinsenden jungen Darsteller sind wie Gummibälle immer in Bewegung. Rasant werden in Überblendungen und Videoinstallationen einzelne Schlagworte an die Wand gebannt, und nach und nach der Zerfall der Gruppe plastisch. Die allzu plakativen Worte des Expressionisten Bruckner stoßen allerdings sehr auf. In jedem Fall war es aber ein denkwürdiger Abend. Annette Stiekele

weitere Vorstellungen: morgen, 22 Uhr, Mittwoch 20 Uhr, Donnerstag 17 Uhr, TiK

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