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durchs wilde liebeslandDie besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Club-Events der Love Parade

Rave-Kaputtness mit Willen zum Stil

Seit Jahren droht der Tresor: Kommt alle! Es könnte das letzte Mal sein! Schaut euch nur die Hochhäuser an! Bald ist hier kein Platz mehr für einen Techno-Club! Dabei sind wir die Guten! Also kommt! Am Anfang mochte man es ja noch glauben, irgendwann pendelte man sich bei einem desinteressierten „und wenn schon“ ein. Aber jetzt: Wer es noch nie gesehen hat – es könnte der letzte Tresor Park von Sven Väth sein! Die Erde wird beben, die Leipziger Straße wird gesperrt werden müssen, und alle, alle werden nach acht Stunden schreien, hüpfen, die Arme schwenken, nicht mehr können und trotzdem weitermachen.

So., 9–20 Uhr, Tresor, Leipziger Str. 126 a, Mitte

Line-ups sind Schall und Rauch. Interessiert eigentlich niemanden. Zumindest nicht mehr am Sonntagabend. Wer jetzt noch ausgeht, um einen bestimmten DJ zu sehen, ist entweder selber einer, oder er hat an den vergangenen Abenden etwas falsch gemacht. Ist nicht so wichtig. Ist halt die ganze DeeJay Gigolo Bande, die sich im WMF versammelt. Es zählen andere Werte: Man kann draußen sitzen, rumgucken und sich an lauter Gesichtern erfreuen, die diese freudige Rave-Kaputtness mit Willen zum Stil verbinden. Gesichter, die sagen, mit mir ist etwas passiert in den vergangenen 72 Stunden. Und ich will nicht nach Hause.

So. ab 23 Uhr, WMF, Ziegelstr. 5, Mitte

Das Interessante an der am Sonntag im Ostgut vorgenommenen Mischung ist das Unentschieden zwischen Techno und House, das hier gefahren wird. Luke Slater: einer, der sich bei seinen Platten immer ein wenig verhebt. Zu viele guten Ideen, zu wenig Profil. Seine Sets aber haben genug Techno-Saft, um jeden Laden zu rocken. Dave Angel: Techno-Urgestein, das vor vielen Jahren seinen Tracks genügend Spirit einhauchte, um sie für jeden Kirchen-Rave zu qualifizieren. C/Rock: Hat die Frankfurter Minimal-House-Schule mit auf den Weg gebracht. Von ihm sollte man nur Raffiniertes erwarten. Und ganz groß natürlich Cajmere aka Green Velvet: Der hat im letzten Jahr eine der futuristischsten Techno-Werke from outer space vorgelegt. Von ihm ist ein ewig deepes House-Set genauso zu erwarten wie Alien-Techno.

So., 23 Uhr, Ostgut, Mühlenstr. 26–30, Friedrichshain

Auch das muss sein: Die volle Packung Speedcore, Gabba und Sägezahnexzess. Mit dem Klangkrieg-Gütesiegel versehen und damit hundertprozentig als Hörfolter zugelassen. Nur die ganz brutalen Typen mit viel zu klobigen Händen, um fein zu mixen, dürfen hier die Plattenspieler quälen. Panacea etwa, das Vieh aus Frankfurt, das ehemals Breakbeats durch den Hades peitschte und neuerdings HipHop produziert, der wie ein akustischer Virenherd klingt. Oder The Berzerker, der Spaß daran hat, seine Sammlung mit den übelsten Grindcore- und Death-Metal-Platten am Computer aufzubereiten. Digitales Grunzen, Schwerenöterriffs aus Nullen und Einsen. Toll. Die auf der Gegenveranstaltung zur Fuckparade müssen allerdings weit Brutaleres ertragen. Dr. Motte lässt sich die Abschlussrede an der Siegessäule auch dieses Jahr nicht nehmen.

So. ab 22 Uhr, Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Fantasia. Atribute to the early years: Das Motto deutet an, wo es langgeht. Wie früher soll es werden, als die Flyer noch grottenhässlich sein mussten und DJ-Line-ups vor allem lang. Als ein Konsens noch möglich schien und sich alle darauf einigen konnten, elektronische Musik zu lieben, also irgendwie anders zu sein. Lang ist’s her. Und so sind solche Großveranstaltungen (8 Floors, weit über 50 DJs) kaum mehr als der verzweifelte Versuch, eine versprengte Szene zwecks Geldschröpfung zu einen. Was nun nicht heißen soll, dass man sich bei alten Bekannten wie Hardfloor, Hawtin, Bukem und der Creme deutscher House-DJs (Dixon, Ata, Nieswandt) nicht grandios amüsieren könnte.

Sa., 23 Uhr, Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg

Nach all den Hörstürzen, Kreislaufzusammenbrüchen und Barschlachten könnte es Sonntagnachmittag höchste Zeit werden, seinen Arsch mit HipHop und Dancehall zu erden und den meist vernachlässigten Heilkräutern eine erneute Chance zu geben. Nur gut, dass es finstere multinationale Drogenkonzerne gibt, die in schöner Regelmäßigkeit vermeintlich harmlose Barbecues veranstalten, umsonst und draußen. Heuer mit Ex-A-Tribe-Called-Quest-Rapper Phife Dawg sowie den deutschen Soundsystemveteranen Pow Pow Movement. Nur nicht anfixen lassen!

So. ab 14 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten

TOBIAS RAPP ANDREAS HARTMANN CORNELIUS TITTEL

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