piwik no script img

Kinokarten über das Internet reservieren

Erstmals findet „Kino 2000“ in Berlin statt. Doch ausgerechnet jetzt bröckelt die Einheit beim veranstaltenden Hauptverband Deutscher Filmtheater

von THOMAS WINKLER

Man möge der Vergangenheit doch nicht allzu viele Tränen nachweinen, wünschte sich Steffen Kuchenreuther zu Beginn von Kongress und Messe „Kino 2000“. Der Präsident des veranstaltenden Hauptverbandes Deutscher Filmtheater (HDF) hatte die Eröffnung des Branchentreffens mit einem schnittigen „Grüß Gott“ begonnen, als wollte er die Zuhörer noch einmal daran gemahnen, dass nicht nur der Verband unlängst von Wiesbaden nach Berlin umgezogen ist. Auch Messe und Kongress, ein Vierteljahrhundert im beschaulichen Kurort Baden-Baden ansässig, findet zum ersten Mal in seiner 30-jährigen Geschichte in der Hauptstadt statt.

Beim Gang über die ungefähr 5.000 Quadratmeter mit knapp über hundert ausstellenden Unternehmen drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass auch der Geist von Baden-Baden mit umgezogen ist. Zwar bleibt im 760 Zuschauer fassenden Auditorium beim „Trailer-Show“ geheißenen Bilderbombardement eines der großen Verleiher kaum ein Sitzplatz frei. Aber beim anschließenden Vortrag von Michael Edison zu Marketing-Strategien verloren sich kaum mehr als 50 Interessierte. Parallel war das Verleihercafé gut gefüllt, plauderten alte Bekannte aus der Branche.

Nur das klassische Bild aus dem Badischen fehlt: Der übers Messegelände wandelnde Kinobesitzer aus der Provinz mit der Gattin im Arm, die die Auszeit vom stressigen Familienbetrieb genießen. „Das ist nun mal eher ein Familientreffen“, stellt Bernhard Wanko vom CineProjekt Hasso, einem Berliner Kinoausstatter, fest. Geschäfte finden bei der Messe so gut wie nicht statt. Baden-Baden war immer eine Reise wert, weil, ungefähr zwei Monate vor dem jetzigen Termin gelegen, im Süden auch meist die erste warme Woche des Jahres lockte.

Am Berliner Termin nun, stellen die meisten befragten Aussteller fest, stören Ferienzeit und vor allem die Plazierung hinter der CinemaExpo in Amsterdam, der größten Messe ihrer Art außerhalb der USA. In den Niederlanden, so Wanko von CineProject, könne man „mehr internationale Kontakte knüpfen“. Trotzdem erhofft er sich vom Umzug nach Berlin den besseren Kontakt zu den kommenden Märkten: „Es sind einige mehr aus dem Osten da.“ Diese neue Orientierung erhofft sich auch der Verband vom Umzug. Bernd Achilles von Kinoton war erst unlängst zur Marktbeobachtung in Rumänien. Die bayerische Firma installiert gerade die Projektions- und Tontechnik für einen Multiplex in Budapest und war bereits in Polen aktiv. „Im Osten ist noch viel zu bauen“, sagt der Leiter des technischen Büros in Berlin, „in ganz Russland gibt es nur einen kleinen Multiplex.“

Solche Perspektiven sind auch nötig. Denn zwar vermeldet die Branche für das erste Halbjahr 2000 einen 12-prozentigen Besucherzuwachs, aber der geht ausschließlich auf neue Leinwände zurück, von denen 236 eröffnet wurden, bei weitem mehr als jemals zuvor. Dem gegenüber stehen allerdings auch 153 Schließungen. Die betreffen zwar hauptsächlich kleine Kinos in der Provinz, aber auch der Multiplexboom ist endgültig zu Ende. In Berlin sind bereits erste Planungen gestoppt, und die UFA will sich angeblich aus dem im Bau befindlichen Cubix am Alexanderplatz zurückziehen.

Der sich momentan vollziehende Strukturwandel, hat HDF-Präsident Kuchenreuther festgestellt, „ist grausam, Marktwirtschaft, aber grausam“. Mittlerweile ist abzusehen, dass die Marktwirtschaft demnächst auch einige ihrer bislang liebsten Kinder fressen wird, wenn die ersten Multiplexe wieder geschlossen werden.

Auch der Weg in die digitale Zukunft, nach den Multiplexen das nächste große Thema für die Daueroptimisten in der Branche und Anlass für neue Investionen, ist zwar ständig präsent in den Vorträgen und Workshops des Kongresses, aber manifestiert sich auf der Messe nur zaghaft. Dort findet sich nahezu ausschließlich der klassische Bedarf des Kinobetreibers: Von 35-mm-Projektoren über den Kinosessel bis zur Gastronomie, vom Bier über Knabberzeug und Popcorn bis zu den Tacos mit Käsesauce. Die schon seit Jahren beschworene Digitalisierung findet hier vor allem noch im Ticketing statt: Software für die Kinokasse, Kartenreservierung und Buchhaltung. Schließlich findet ein Drittel der Reservierungen in den Kinos des Branchenriesen Flebbe bereits über das Internet statt, vermeldet die Fachpresse.

Doch auf der Messe ist das allseits apostrophierte digitale Kino ist nur bei Kinoton zu besichtigen. An deren Stand steht einer jener DLP-Projektoren, die sich momentan als Standard für die digitale Filmvorführung durchzusetzen scheinen, und mit deren Hilfe in einigen wenigen Kinos, so im Zoo-Palast, momentan bereits „Fantasia 2000“ gezeigt wird. Aber auch Kinoton selbst, so Achilles, glaubt nicht daran, dass die neue Technik in den nächsten zwei Jahren wirklich ankommt. Für ein normales Kino ist sie bislang schlicht zu teuer.

Bei der gestrigen, zentralen Kongressveranstaltung „kino digital“ waren die Demonstrationsvorführungen mit einem digitalen Projektor von Sony von einem HD-Band, das kaum größer ist als eine Videokassette, für den Laien kaum mehr von 35-mm-Qualität zu unterscheiden. Nachteile gibt es noch bei der Schärfe, dafür sind die Helligkeitsprobleme der analogen Projektion gelöst.

Zwar fehlen noch internationale Standards, aber die Referenten waren sich einig, dass die neue Technik kommen wird. Die große Frage bleibt nur: Wann? Und eine noch entscheidendere wartet: Wer bezahlt die Neuinvestionen? Kameramann und Stargast Michael Ballhaus, am Abend zuvor für sein Lebenswerk mit der goldenen Leinwand geehrt, gab sich kalifornisch braun gebrannt und populistisch. Für seine Meinung, die Studios müssten die Kosten der Umrüstung in den Kinos tragen, erntete er Applaus, aber legte den Finger auch exakt in die Wunde: „Sie, die Filmtheaterbesitzer, haben die Macht zu entscheiden, wann die Technik kommt, wenn sie geschlossen vorgehen.“

Momentan sieht es eher so aus, als würden die Multiplexe, die ja oft im Besitz der großen Hollywood-Studios sind, die zukünftige Technikumstellung dazu nützen, die kleineren Mitbewerber entgültig aus dem Feld zu schlagen. Währenddessen aber bröckelt der HDF. Nachdem bereits drei der großen Multiplexbetreiber ausgetreten sind, „eine Katastrophe“ in den Worten seines Präsidenten Kuchenreuther, wurde wenige Tage vor dem Kongress bekannt, dass auch mehrere unabhängige Berliner Kinos den Verband verlassen haben, darunter Kinos in der Neuen Mitte wie Central und Hackesche Höfe, und traditionsreiche Off-Häuser wie Eiszeit, Blow Up und fsk. Der Grund: Ihre Interessen seien nicht angemessen vertreten worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen