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Vexierspiel mit Voyeuren

Helena Waldmann ist Artist-in-Residence am Podewil. Für ihre erste Berliner Choreografie „see and be scene. a catwalk banquet“ ließ sich die Meisterin des Perspektivenspiels von Bret Easton Ellis inspirieren: Models an die Maschinengewehre!

von CHRISTIANE KÜHL

Selbst der Begriff „Setting“ will nicht genügen, diese Bühnensituation zu beschreiben. Der Besucher der Choreografie „see and be scene“ ist geneigt, von einem „exquisiten Ambiente“ zu sprechen. Das Haus der Wirtschaft in Berlin-Mitte verfügt über marmorne Stufen, Transparenz versprechendes Glas und Galerien um einen großzügigen, überdachten Innenhof, den Architekt und Makler mit Sicherheit als „lichte Piazza“ preisen. Muzak rieselt. Weingläser klirren. Und mittendrin: Helena Waldmanns „catwalk banquet“, ein 16 Meter langer Laufsteg, an dessen Längsseiten das Publikum Platz nimmt, um junge Asiatinnen zu goutieren.

Bret Easton Ellis beschrieb 1999 mit „Glamorama“ auf knapp 700 Seiten die wunderbare Welt der Mode/Marken/Medien samt systembedingter Ausraster. In seiner äußerst detaillierten Darlegung imagerelevanter und Schizophrenie fördernder Oberflächenphänomene hatte er eine schöne Vision: High-Class-Models machen Schluss mit den Diäten und nutzen ihre neuen Energien zur Sprengung von Luxushotels. Helena Waldmann hat diese Vision fasziniert. Ihre jüngste Choreografie „see and be scene“, die vorgestern im Rahmen der „SpielRäume“ der Berliner Festspiele uraufgeführt wurde, will auf dem Laufsteg die Kongruenz von Körper, Sex und Ware ausstellen und das diesem Konzept inhärente Zerstörungspotential gleich dazu.

Dass die Uraufführung des Stücks im Haus der Wirtschaft stattfindet, entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie. Sie scheint nicht beabsichtigt, es sei denn, man begreift die erste Projektion auf die über den Catwalk gespannte Videoleinwand – das leuchtende Sanyo-Logo – als Aufforderung, das Konzept von Ellis’ Models in Richtung Industriesabotage auszuweiten. Wovon nicht auszugehen ist. So konzentrieren sich die Zuschauer zu Beginn der Aufführung auf die an allen Plätzen ausliegenden Spiegel, mit denen man wahlweise die Models, sich selbst oder die anderen Voyeure reflektieren kann. Das Spiel mit dem Rahmen stellt auch die eigene Position im Vermarktungsspektakel frei: Beschleuniger oder Opfer der Entwicklung – alles eine Frage der Perspektive.

Intelligentes Spiel mit Perspektiven ist eine Spezialität der Frankfurter Choreografin, die nun für eine Spielzeit Arist-in-Residence am Podewil ist. Alle ihre Arbeiten bauen auf irritierende optische Momente, hervorgerufen durch Reflektionen, Videos, Folien oder eineiige Zwillinge auf der Bühne. Das Gelingen dieses Wahrnehmungsverwirrspiels in „vodka konkav“ und „ChesireCat“ brachte ihr hervorragende Kritiken.

„See and be scene“ ist im vergleich zu diesen Arbeiten recht simpel und entsprechend ein wenig enttäuschend. Drei Tänzerinnen präsentieren sich auf dem Laufsteg, bieten sich räkelnd an, fallen aus dem Räkeln in schmerzliche Verrenkungen. Ziehen sich aus, um darunter Nacktheit suggerierende Kostüme zu tragen. Ein Vexierspiel auch hier, aber doch ein bescheidenes, dessen Dynamik über weite Strecken von Arik Hayuts elektronischer, mit Live-Percussion ergänzter Musik getragen wird. Die Mitteilung übers Mikro, dass Scharfschützen im Haus seien, kommt da so unvermittelt, dass sie nicht mal ein Schöckchen auszulösen vermag. Die Fashion Parade wird zur Military Parade, die allerdings ebenso goutierbar ist wie die anschließende Teezeremonie. Schöne Momente hat diese Inszenierung zweifelsohne. Doch wünscht man unbedingt, dass sie bis zur Aufführungsserie im Herbst im Podewil auch ein wenig terroristische Energie gewinnt.

Heute um 22 Uhr im Haus der Wirtschaft, Breite Straße 29, Berlin-Mitte

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