: Die Reichsminister drohen mit dem Tod
Die „Kommissarische Reichsregierung“ mit Sitz im gutbürgerlichen Westberliner Bezirk Zehlendorf will Deutschland führen. Haftbefehle, die die Todesstrafe androhen, verschickt sie schon jetzt. Der Verfassungsschutz hält die Mitglieder für rechtsextrem, die Staatsanwaltschaft für verrückt
von PHILIPP GESSLER
Vorsicht! Überlegen Sie sich gut, ob Sie weiterlesen! Sie laufen Gefahr, sich des Hochverrats schuldig zu machen, sollten Sie nach Lektüre dieses Artikels weiterhin abstreiten, dass das Deutsche Reich existiert und dass es eine rechtmäßige Reichsregierung gibt. Seien Sie sich bewusst, dass Hochverrat nach der in Wirklichkeit weiter existierenden Weimarer Verfassung mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Wollen Sie dennoch weiterlesen?
Der „Provisorische Amtssitz“ des „Generalbevollmächtigten für das Deutsche Reich“ ist ein etwas schmuddeliger Backsteinbau an einer S-Bahnlinie in Zehlendorf. An einer Wand des Jahrhundertwendehauses ist eine alte Reklame für die „Landschaftsgärtnerei Eduard Hoppe“ zu lesen. Der „Medienberater des Deutschen Reiches“, Klaus Weichhaus, springt nach dem Klingeln eilfertig durch den Vorgarten, um das Törchen zu öffnen. An der Eingangstür steht Wolfgang G. G. Ebel (61), ein dicklicher Berliner vom Schlage eines Heribert Faßbender. Er bittet freundlich und etwas huldvoll in die kleinbürgerliche Wohnung im Hochparterre.
Der ehemalige S-Bahn-Beamte, der heute von den Einkünften seiner Lebensgefährtin lebt, ist eigentlich der mächtigste Mann Deutschlands: Als „Generalbevollmächtigter“ hat er drei Ämter inne: das des Präsidenten, des Reichskanzlers und Gerichtspräsidenten des Reichsgerichts, wie er erläutert. Es liegt etwas Feierliches in der Luft. Das halbe Kabinett der „kommissarischen Reichsregierung“ ist in einem düsteren Raum versammelt. Die Tapete mit einem Schilfrohr-Muster ist speckig, der Teppich abgelaufen, eine kleine Wanduhr tickt. Ernst geben die Minister die Hand, bis auf die Reichsarbeitsministerin tragen alle Jackett und Krawatte: Diese Herrschaften werden Deutschland nach „der Wiedervereinigung mit den deutschen Ostgebieten“ regieren.
Denn folgt man der Argumentation der „Reichsregierung“, leben wir nicht etwa in der Bundesrepublik Deutschland. Nein: „Die Bundesrepublik Deutschland ist de jure erloschen“, stellt Christian Samter fest, der sich selbst „Kommissarischer Präsident“ des „Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich“ nennt. „Das Deutsche Reich in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 ist existent“, proklamiert der etwas verbissene Mittdreißiger in einem programmatischen Papier. Samter lebt nach eigenen Angaben von einigen Unternehmensbeteiligungen in unterschiedlichen Branchen.
Mehr als 100 Männer und Frauen haben sich der „kommissarischen Reichsregierung“ angeschlossen. Alles Duchgeknallte? Das ist schwer von der Hand zu weisen – aber der Wahnsinn hat Methode. Es dauert eine Weile, sich in die Logik von Ebel und Co. hineinzudenken. Wer es versucht, der wird mit einem Sammelsurium von Alliierten-Bestimmungen am Ende des Krieges, Bundesverfassungsgerichts-Urteilen, Völkerrechts-Paragraphen und -Verträgen bombardiert. Und sie sollen alle nur eines belegen: Die zwei deutschen Staaten „hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben“, wie Ebel im Januar in einem fünfseitigen, eng beschriebenen Papier proklamierte. Die wahre Macht haben demnach hierzulande weiterhin die Allierten, vor allem die USA. Die „Reichsregierung“ sei ihr Erfüllungsgehilfe.
Darauf kam der „Generalbevollmächtigte“ 1980. Beim Eisenbahnerstreik in Berlin sei er über den Staatsschutz seinem Ansprechpartner bei der US-Regierung, einem Herrn Kowalski, vorgestellt und über die wahren Machtverhältnisse in Deutschland aufgeklärt worden. Am 8. Mai 1985, 40 Jahre nach Kriegsende, habe ihn der damalige US-Botschafter, Arthur Burns, als Reichsverkehrsminister eingesetzt, 1987 habe ihn die spätere UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson, rückwirkend ab 1985, auch zum „Generalbevollmächtigen“ gemacht. Alles mündlich. Seitdem bildet er seine Regierung.
Da die Weimarer Reichsverfassung nach Ebels Verständnis durch die Nazis nicht aufgehoben wurde und die deutschen Staaten de jure nie existierten, wirkt die Verfassung von 1919 fort. Nach und nach hat Ebel zwölf Minister ernannt und den Regierungsapparat aufgebaut – genehmigt habe ihm das jeweils das „Weiße Haus“. Und das geht so: Ebel schickt seine Namensvorschläge für die Ministerposten, die Reichsbeamten und auch den schriftlich abgelegten Amtseid an die US-Botschaft. Per Einschreiben mit Rückschein. Kommt der Rückschein innerhalb einer 21-Tages-Frist zurück, hat die US-Regierung die Vorschläge akzeptiert. Wenn nicht, verliert der Minister oder Reichsbeamte seinen Posten. Man sei in „ständiger Kommunikation“, mit der US-Regierung, betont Reichs-Medienberater Weichhaus. Gegen die Versteigerung der neuen Mobilfunkfrequenzen wolle man vorgehen, da dies zum „Sondervermögen“ des Deutschen Reiches gehöre.
Ist das alles nur ein irrer Spaß? Zumindest hört der ziemlich schnell auf: „Jegliche Rechtsgrundlagen der Organe und Behörden der Bundesrepublik Deutschland sind erloschen und haben keine Rechtsgültigkeit mehr“, erklärt Samter, der Oberrichter. Hinzu kommt klarer Revanchismus: Die „ostdeutschen“ Gebiete, also Schlesien, Ostpommern etc., seien lediglich unter polnischer beziehungsweise russischer Verwaltung, erläutern die Reichsdeutschen. Erst wenn die Russen Polen wieder in seine alten Grenzen aus der Zeit vor dem Hitler-Stalin-Pakt versetzt hätten und die deutschen Ostgebiete wieder deutsch seien, sei eine Wiedervereinigung möglich. Ob dazu ein Krieg nötig sei? Das lassen die Herrschaften offen. Klar sei nur: Die Reichsregierung habe nach dieser Wiedervereinigung so lange die Macht, bis Wahlen organisiert seien. Die Vertreter der Reichsregierung sind also mindestens revanchistisch – sind sie auch rechtsradikal? Sie selbst bestreiten dies vehement.
Der Berliner Verfassungsschutz ist vorsichtig. Er ordnet die „Reichsregierung“ dem „rechtsextremistischen Milieu“ zu und beobachtet sie auch. Der Staatsschutz der Hauptstadt kennt die Aktivitäten der Reichsdeutschen schon seit vielen Jahren. Als militant gilt ihm die Vereinigung nicht. Der Verfassungschutz Thüringens warnt, dass die „kommissarische Reichsregierung“ nicht bloß als skurril abzutun sei – immerhin seien sie schon, zumindest zeitweise, gewalttätig aufgetreten.
Der Hintergrund: Ein Bürger aus dem Kaff Sophienhof in Nordthüringen hatte für einen geplanten Umbau seines Bungalows keine Baugenehmigung bekommen. Daraufhin wandte er sich an die „Reichsregierung“, die ihm die Bescheinigung ausstellte. Als der Vizechef des zuständigen Nordhäuser Bauordnungsamtes, Klaus Müller-Steidner, den Umbau stoppen wollte, kam es zu einer Rempelei. Zudem erhielt er einen Haftbefehl des „Deutschen Reiches“ mit der Drohung: Wenn die Reichsregierung an der Macht sei, werde er wegen „Hochverrats“ in Untersuchungshaft genommen. „Hochverrat“ begehe, wer die „Reichsregierung“ nicht anerkenne. Als Höchststrafe sehe das Gesetz dafür die Todesstrafe vor.
Müller-Steidner fühlte sich ernsthaft bedroht und forderte Polizeischutz. Er beklagt, dass man sich zu wenig um seine Gefährdung kümmere, und fühlt sich „verarscht“. Schließlich sei er auch von einem Hubschrauber, angemalt in Schwarzrotgold, bedroht worden. Die „Reichsregierung“ bestätigt, dass sie einen Helikopter habe. Der sei dort aber „zufällig langgeflogen“.
Und dann ist da noch die Sache im Mansfelder Land am Ostrand des Harzes in Sachsen-Anhalt: Das „Fürstentum Sealand“, ein Pseudostaat, der eine frühere Flakinsel im Ärmelkanal für sich beansprucht (Lage: 51 ° 43 ` 40 `` Nord, 01 ° 28 ` 57 `` Ost), beantragte und erhielt von der „kommissarischen Reichsregierung“ im März dieses Jahres eine Grabungsgenehmigung für die Suche nach dem Bernsteinzimmer und dem Reichspostschatz. Etwa zwei Wochen lang gruben daraufhin Männer in einer DDR-Felddienstuniform nach dem im Zweiten Weltkrieg aus Leningrad geraubten Kleinod. Der Grundstückseigentümer musste sich eines privaten Sicherheitsdienstes bedienen, um die Buddler zu vertreiben – daraufhin schwoll die Flut an Haftbefehlen der „Reichsregierung“ an. Den Reichsdeutschen zufolge haben sie über 1.000 von ihnen im Laufe der Jahre verschickt.
Nach Auskunft der Polizeidirektion Merseburg sind bei der Staatsanwaltschaft in Halle/Saale mehrere Verfahren gegen die Bernsteinsucher anhängig – u. a. wegen Nötigung. Wegen des Bungalowumbaus in Thüringen wurde die Berliner Polizei Anfang August aktiv: Sie durchsuchte aufgrund eines Durchsuchungsbefehls des Amtsgerichts Mühlhausen die Wohnung von Ebel, den „Amtssitz“. Die Beamten suchten nach Siegeln, die das Bauordnungsamt am Sophienhofer Bungalow angebracht hatte, um den Umbau zu verhindern. Die „Reichsregierung“ hatte sie eingezogen, einen „Siegelbruch“ vorgenommen.
Die Hausdurchsuchung blieb jedoch nach Angaben der Polizei ergebnislos. Die Offiziellen der „Reichsregierung“ zeigen sich befriedigt darüber. Man fühlt sich von der Bundesrepublik verfolgt: Staatsgerichtspräsident Samter spricht in Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen die Grabungsaktion in Sachsen-Anhalt davon, dass die bundesdeutschen Behörden dabei Anleihen bei „Methoden des Dritten Reiches“ genommen hätten. Obwohl die Bundesregierung genau wisse, dass der „Reichsregierung“ die eigentliche Macht in Deutschland zustehe, versuchten die Bundespolitiker, die „Reichsregierung“ kaputtzumachen, da sie ihren Status und ihre Privilegien retten wollten.
Umso erstaunlicher erscheint da zunächst, dass das Bundesamt für Finanzen in Bonn und die Thüringische Staatskanzlei in Erfurt tatsächlich Briefe verschickten, die an „Seine Exzellenz Christian Samter, Reichstagspräsident“ sowie den „Preuß. Staatsrat, Herrn Vors. Samter“ gingen. Die „Reichsregierung“ zeigt die Kopien der Umschläge gern vor. In Erfurt erklärt man den Fauxpas mit der Unachtsamkeit einer Bürofacharbeiterin, die die Adresse „Preuß. Staatsrat“ übernommen habe, ohne sich viele Gedanken darüber zu machen. Das Bundesamt für Finanzen entschuldigt sich damit, dass Samter seinen Titel bei einer Internetanfrage nach Steuerformularen selbst als Rückadresse angegeben habe und der Brief nur maschinell bearbeitet worden sei. Die US-Botschaft, die seit Anfang der 90er-Jahre Post samt Einschreiben und Rückschein von der „Reichsregierung“ erhält, hatte von der Funktion der Briefe keine Ahnung. Natürlich habe man nichts mit diesen Leuten zu tun, betont die Sprecherin.
Dass Problem ist, dass man dem „Generalbevollmächtigen“ Ebel nicht beikommen kann – er unterschreibt die meisten Briefe der „Reichsregierung“. Bei der Berliner Staatsanwaltschaft heißt es, Ebel sei seit Jahrzehnten bekannt. Verfahren gegen ihn wegen Amtsanmaßung und Titelmissbrauch mussten eingestellt werden, wegen Schuldunfähigkeit: Denn Ebel sei „verrückt wie ’n Pferd“. Auch die Berliner Polizei spricht von Schuldunfähigkeit und berichtet von Todesdrohungen, die selbst der Pfleger von Ebel erhalten habe. Ebel hat ein selbst gebundenes Heftchen zur Hand, in dem er zu belegen versucht, dass mental bei ihm alles okay sei. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Mühlhausen weist zwar auf Strafbefehle wegen Beleidigung und Siegelbruch hin, doch die Todesdrohungen in den „Haftbefehlen“ der „Reichsregierung“ seien rechtlich nicht relevant, da sie von einem schuldunfähigen Menschen unterschrieben seien: Da habe der Staat keine Handhabe. Samter erzählt freimütig, gegen fast jedes Mitglied der „Reichsregierung“ habe es schon Ermittlungen wegen Amtsanmaßung und Titelmissbrauch gegeben – ohne Konsequenzen.
Bevor es dunkel wird, will der Fotograf am „Amtssitz“ noch ein Foto machen. Heiko Fischer (29), Beamter in der Abteilung I des Reichsjustizministeriums und dort verantwortlich vor allem für das Meldewesen, zeigt zwei Plaketten, die an die Tür des Amtssitzes angebracht werden sollen: „Deutsches Reich“ steht dort in Fraktur, „Amtssitz“. Daneben ein Bundesadler und die schwarzrotgoldenen Nationalfarben. Der hellblaue Personalausweis des „Deutschen Reiches“ samt Foto und Fingerabdruck wird vorgezeigt. Damit könne man nach Polen reisen, erklärt ein Regierungsmitglied stolz. Im Garten des Amtssitzes stellen sich Ebel, Samter und die Minister brav zum Gruppenfoto auf. Ob der Gartenschlauch nicht im Bild störe, fragt einer der Reichsdeutschen. Die Exzellenzen sind sehr ernst.
Hinweise:Wolfgang Ebel meint, Deutschlands mächtigster Mann zu sein: Reichskanzler, Präsident und oberster Richter Die Staatsanwaltschaft kennt Ebel seit Jahrzehnten. Alle Verfahren wurden eingestellt – wegen Schuldunfähigkeit
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