die stimme der kritik: Betr: Die schwierige Identitätsfindung heimatloser Agrarprodukte
Das Hühnerei wird deutsch
Sport sells! Deshalb haben die Atomiker vom Energieriesen Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke (RWE) für ihre neue Werbekampagne den Fußballtrainer Daum gekauft, der jetzt immer stocksteif, als hätte er gerade Ulf Kirsten verschluckt, durch die Zeitungsseiten schreitet. Dann marschiert er auch noch rechtsextrem am äußersten Rand, obwohl der Pfeil doch nach links zeigt. Und statt „Atommafia“ heißt es jetzt „one group, multi utilities“. Schwer schick, das!
Sport sells! Deshalb hat die „Leistungsgemeinschaft Deutsches Ei“ zwölf deutsche Marathonläufer gekauft, die ab heute Tag und Nacht mit einem deutschen Ei durch Deutschland rennen. Es geht um einen Weltrekord im Eierlaufen. Aber anstatt das Ei auf dem Löffel zu balancieren, wie wir es von jedem anständigen Kindergeburtstag kennen, ist es in einen Staffelstab eingeschweißt, der in acht Tagen von Rügen auf die Zugspitze gerannt und dort verzehrt wird.
Aber eigentlich geht es gar nicht um einen neuen Weltrekord, sondern um Deutschland. Bisher mussten nämlich alle Eierkäufer mit dem schlafraubenden Handikap leben, dass ihr Ei vollkommen identitätslos war. Freilandhaltung, Bodenhaltung oder Käfigfolter konnte der Verkäufer mit etwas Geschick noch erkennen – aber wo war die Nationalität?
Uns fehlte die Sicherheit, dass ein vermutetes deutsches Ei auch tatsächlich aus Deutschland kam und nicht etwa ein Franzosen-Ei war oder, pfui Deibel, ein Belgier-Ei oder Österreicher-Ei. Jetzt wird aber alles gut, weil jedes Ei, analog zum Autokennzeichen, ein Eierkennzeichen erhält, das direkt auf die Schale geprägt wird.
Also: Nur da, wo Deutschland draufsteht, ist es auch drin. Und weil ein einsames „D“ noch nicht reicht, steht außen auf der Packung das D/D/D-Signet. Dreimal „D“ gibt es aber nur, wenn das Ei in Deutschland gelegt und verpackt wurde, wenn das Küken in Deutschland geschlüpft und die Henne in Deutschland aufgewachsen ist.
Übrigens: Weil nur deutsche Hennen zum Eierlegen taugen, werden die deutschen Hähne direkt nach dem Schlüpfen aussortiert und vergast oder in den so genannten Kükenvermuser geworfen, wo sie von rotierenden deutschen Messern zu deutschem Brei verarbeitet werden. 50 Millionen frisch geschlüpfte Junghähne werden Jahr für Jahr auf diese Weise vernichtet.
Weil an dieser Stelle aber eher lustige Sachen stehen sollen, ist jetzt sofort Schluss.
MANFRED KRIENER
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