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Leben fühlen

Hier tanzen die Guten: Zu Besuch in Europas größter Disko

Je weiter man nachts aus der Stadt rausfährt, desto heller leuchten die McDonald’s-Schilder. Der südliche Berliner Ring führt an Schriftzügen wie „Möbel Höffner“, „Teppich Kibek“ oder „Toys ’R’ Us“ vorbei. Das „A 10“-Center liegt an der Autobahnausfahrt Wildau/Königs Wusterhausen. Hier befindet sich das „New World“ – nach eigenen Angaben die „größte Diskothek Europas“. Ein riesiger Parkplatz erstreckt sich vor dem Eingang. Gegenüber wirbt ein Baumarkt auf einem überdimensionalen Schild „Wir vermöbeln Sie nach ihren Wünschen.“

Das Größe-holt-Masse-Prinzip funktioniert. Samstagsabends um 23 Uhr ist der A-10-Center-Parkplatz voll. Pinkfarbene VW Scirocco stehen neben bulligen Jeeps und tiefer gelegten Kleinwagen. Die meisten Autos tragen das Nummernschild „LDS“ für den Landkreis Dahme-Spree. Junge Männer stehen in schlaksigen Grüppchen vor ihren Fahrzeugen und rauchen. Vor dem Eingang ins New World wartet eine Schlange Jugendlicher frierend im Nieselregen.

Das New World hat am Wochenende 6.000 Besucher. Deren Ausgehvergnügen wird professionell organisiert. Es gibt zwei Tanzflächen, eine Terrasse mit Swimmingpool, zehn Bars, ein Restaurant und die „Bowling Factory“ mit 32 Bowling-Bahnen. Demnächst treten hier die Venga Boys auf. Feriendorfstimmung wird durch Sonnenschirme, künstliche Wasserfälle, mexikanisches Bier und „Lebt ihr noch?“-Sprüche der DJs produziert. An sexuelle Abenteuer sollen die Frauen erinnern, die oben ohne in Stringtangas auf Podesten tanzen. Für manche ist auch die „Schaumparty“ erotisch, die einmal im Monat stattfindet. Dafür pumpt eine Maschine hektoliterweise Schaum in den Pool. „Die Leute springen rein und sind glücklich“, erklärt ein New-World-Mitarbeiter.

Die Jugendlichen aus dem Umland nehmen das Angebot an. Das ist einfach. Die Musik ist aus den Radiocharts. Trockeneis-Nebel, Großbildschirme und aufgeregte Scheinwerferspiele sorgen für ein dramatisches Erlebnis, auch wenn man nur den ganzen Abend mit einer Flasche Bier am Tanzflächenrand herumsteht. Subkulturelles Nischenpublikum ist nicht da. Nur in einer Ecke sehen ein paar Jungs mit hohen Plateauschuhen, engen T-Shirts und bunten Trompetenhosen aus wie Figuren aus einem Manga-Comic. Sie führen ihr eigenes Technokonzept vor: immer weiter tanzen, die anderen sind egal. Die restlichen Besucher dagegen – Freundinnengrüppchen in Spaghettiträgern und kurzhaarige Jungscliquen – beobachten sich auf der Tanzfläche. Pärchen halten einander fest und wahren so ihren Besitzstand.

Bei den Bowlingbahnen läuft eine moderne Version eines Albano-und-Romina-Power-Liedes. An der Wand hängt ein Foto von Marcel Vetter, dem aktuellen „Mitarbeiter des Monats“. Zu essen gibt es „Schweinenackensteak mit Setzei“. Und der Werbeslogan des New World lautet: „New World: Hier tanzen die Guten.“ KIRSTEN KÜPPERS

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