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Die prekäre Mitte

Eine Utopie von Mittelständlern: Moritz Rinkes Stück „Repulik Vineta“ im Thalia  ■ Von Annette Stiekele

Rätselraten in der Pause. Ist das jetzt ein Krimi oder eine Komödie, oder was? Eine Frage, die sich im, zum Glück, ernsteren zweiten Teil beantwortet, als die Utopie mit einigen Toten und einer ansehnlichen Wendung im Theaterboden versinkt. Die Utopie heißt Republik Vineta. Der junge Berliner Dramatiker Moritz Rinke (Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte) widmet sich darin der Mitte der Gesellschaft, die, so wird ja oft beklagt, in der ach, so unübersichtlichen heutigen Zeit ihres Kerns mehr und mehr verlustig geht. Rinke ist einer, der die Leute mitnehmen und Altes zugespitzt mit Neuem verbinden will. In Regisseur Stephan Kimmig hat er da für die Uraufführung den idealen Partner, ist der doch eher kein Konzeptionswütiger, sondern einer, der sich zurücknimmt. Doch allzuviel Augenschein und Realismus ließ die zweite Eröffnungspremiere im Thalia Theater zu einer bisweilen heiteren, aber skurrilen Mischung aus Top Dogs und Ohnsorg Theater werden. Erst im Finale wird die Konstruktion verständlich, wenn sich die irrwitzig angelegten Wirklichkeitsebenen auflösen.

Es beginnt harmlos. Fünf Männer treffen sich in einer verfallenen Villa im Thüringer Wald, um unter dem Anleiter Leonhard (Helmut Mooshammer) das Projekt der Republik Vineta zu verwirklichen. Der Ort: Eine unbewohnte Insel im bottnischen Meerbusen. Die Vision lautet in einer keineswegs zufälligen Anspielung an die Expo: „Park der untergegangenen Träume“. Die Arbeitsteilung ist klar: Der hyperventilierende Unternehmensberater Hagemann (Jörg Lichtenstein) sorgt fürs Timing und engagiert den emsigen Ingenieur Born (Stephan Schad), den ausgedienten Beamten und sentimentalen Träumer Montag (Christoph Bantzer), den fanatischen Kapitän Feldmann-See (Hartmut Schories) und den profilierungssüchtigen Kommunalpolitiker Behrens (Hans Christian Rudolph). Ihre gemeinsame Vision einer besseren Welt definieren alle in krankhafter Weise über ihre Arbeit und den Erfolg. Wenn der trottelige Montag sich hilflos an einem Kaffeeautomaten versucht und davon schwärmt, das Fenster zu öffnen, um eine Wolke hereinzulassen, oder wenn Bürgermeister Behrens wiederholt zu peinlichen Reden Anlauf nimmt und zwischendurch Lieder der Beatles summt, scheinen die Rollen den Schauspielern geradezu auf den Leib geschrieben. Alles läuft nach Plan, bis ein Verfechter der Gegenmoderne, der hochnervöse Berliner Stararchitekt Färber (eine Entdeckung: Thomas Schmauser) in die Versammlung platzt und Leonhard alle bisherigen Pläne über den Haufen wirft. Schnell spaltet sich die Gruppe in zwei Lager, die Vertreter einer Art humanitären ökologischen Rückbesinnung und die pragmatischen Technokraten. Mittendrin eine hochhackige Assistentin, die bei allen Anwesenden für gelegentliche Auflockerung des Hormonhaushaltes und fast für Stürze auf der schwindelerregend genau abgebildeten Treppe (Bühne: Katja Haß) sorgt. Je weiter die arbeitswütigen Planer ihre egozentrischen Marotten auf der Bühne ausbreiten, umso mehr droht der amüsant-komödiantische Gestus der Inszenierung jedoch ins Kalauernde und Possenartige abzugleiten.

Am Ende ist klar: Der Versuch Vineta umzusetzen ist unausweichlich gescheitert. Die großen Ziele fallen Machtkämpfen, Profilneurosen und Intrigen zum Opfer. Dabei wimmelt es permanent von satirischen Anspielungen auf die Gegenwart. Orientierungen sind unklar, Meinungen wechseln beinahe täglich, Gegensätze lösen sich auf, und irgendwie landen am Ende alle in der „Mitte“. Nach dem Scheitern der großen kommunistischen Utopie wird jeder, der noch eine Vision äußert, als hoffnungsloser Romantiker verlacht. Hinzu kommt die latent lauernde Gefahr des individuellen Scheiterns. Da landen Rinke und Kimmig dann doch wieder wie Kriegenburg im Nachtasyl bei den Verlierern, denen, die nicht mehr ins Bild der „Mitte“ passen und ausgemustert werden.

26.+ 27.9., 3. - 5. + 21. - 23.10., 20 Uhr, Thalia

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