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Dein Körper ist kein Sex- und Fitnessgerät

Der New Yorker Spencer Tunick schafft Körperskulpturen aus hunderten von nackten Menschen, die er in der Natur oder mitten in der Stadt fotografiert

von TOBIAS MOORSTEDT

Wenn es um den Times Square geht, versteht der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani keinen Spaß. Denn dort hat er aufgeräumt, in jahrelanger Arbeit. Hat Drogen und Prostitution und Verbrecher und Rotlichtmilieu weggedrängt, in die hintersten Ecken der Stadt. Heute leuchten dort die Neonpixel von Nasdaq und Sony, und der Times Square ist die Mitte der Mitte der Welt. Dass also genau dort vor einigen Monaten in den frühen Morgenstunden 150 Menschen auftauchten, sich blitzschnell ihrer Kleidung entledigten und sich auf den noch kalten Asphalt legten, das konnte dem konservativen Kopf der „Empire City“ nicht gefallen.

Nun ist Giuliani nicht unbedingt zimperlich. Also ließ er den Initiator des Happenings, den Fotokünstler Spencer Tunick, in den folgenden Monaten fünf Mal ins Gefängnis werfen. Zwar blieb Tunick dort immer nur wenige Stunden, doch ist aus dem Vorfall am Times Square ein Konflikt entstanden, der durch die US-Medien ging und zuletzt gar das oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten beschäftigte, das Giuliani in einem „Over-Night-Appeal“ bemühte, um ein weiteres Foto-Shooting Tunicks zu verhindern. Und aus der simplen Frage, wie man mehrere hundert Menschen am wirkungsvollsten nackt abbildet, ist eine Diskussion entstanden über die Freiheit von Kunst und die Grenzen der verfassungsmäßigen Rechte.

Spencer Tunick ist 33 Jahre alt und Absolvent des renommierten Emerson College in Boston. Mit seinem Projekt „Naked States“ tourte er durch alle Staaten der USA und fotografierte tausende nackter Menschen. Er lichtete seine Modelle auf einsamen Landstraßen ab, vor bekannten Gebäuden, in der Wüste Nevadas, an den Ufern der Großen Seen bei Chicago. Er fotografierte sie aufeinander geschichtet, aneinander gereiht. Er bildete Linien, Treppen, einen dichten Teppich aus nackter Haut. Dann kam er nach New York und traf Rudolph Giuliani, Bürgermeister und Moralapostel.

„Mit seinen Orgien schadet er dem Image der Stadt und gibt Touristen nicht den Eindruck, den sie haben sollten“, ließ Giuliani vor Gericht verlauten. Tunick berief sich auf seine Bürgerrechte und die Meinungsfreiheit. Das Gericht entschied zu Gunsten des Künstlers und verbot der Stadt New York, weiterhin die Arbeit Tunicks zu sabotieren.

„Diese ganze Geschichte war ohnehin lächerlich“, meint Tunick einige Tage nach der Verhandlung in seinem Drei-Zimmer-Apartment in Brooklyn, das mit leeren Filmschachteln, Postkarten und zerfledderten Magazinen vollgestopft ist. „In diesem Land ist es gestattet, einen Film zu drehen, in dem einem Menschen Arme und Beine abgerissen werden. Aber man darf keine Fotos von nackten Menschen machen, die offensichtlich nicht in sexuell expliziten Posen stehen. Das Gerichtsurteil ist ein Sieg des Körpers als Kunstobjekt“, so Tunick, „und nicht als Sex- oder Fitnessgerät.“

Tatsächlich sind Tunicks Aufnahmen meilenwert entfernt von Pornografie oder den Manifesten der menschlichen Hybris, in denen Aktfotografen wie Hemut Newton ihre Modelle in gottgleicher Schönheit ablichten. „Ich bin ein zeitgemäßer Künstler, der mit Nacktheit arbeitet“, darauf besteht er, „und kein Aktfotograf.“ Und mit dieser Meinung steht er nicht alleine da, denn auch die amerikanischen Kritiker betrachten Tunicks Arbeiten durchaus wohlwollend. „Es gibt seit vielen Jahren eine Tradition der Nacktfotografie und der Performance-Kunst im Sinne Christos, in der der Künstler die abgebildete Situation selbst schafft“, meint die New-York-Times-Kritikerin Roberta Smith, „Tunicks Verdienst ist, dass er beides zusammengebracht hat.“

Doch Tunick ist auch ein Populist der Performance-Kunst, der den Konflikt mit dem Gesetz bewusst in Kauf nimmt. Er hat erreicht, was sich manche Künstler sehnsüchtig wünschen, andere wiederum fürchten: Das Drumherum verdrängt die eigentliche Kunst, interessant sind nicht mehr die Fotos, sondern die Gerichtsurteile. Zugleich weiß Tunick um die Zugkraft der Massenmedien, und Aussagen wie die seines Anwalts Robert Kuby – „Die Verhaftungen von Spencer Tunick sind Teil von Bürgermeister Giulianis Kampagne zur Verminderung der Lebensqualität und der persönlichen Freiheit in der Stadt“ – wirken sich durchaus verkaufsfördernd auf seine Arbeiten aus. Zehn- bis fünfzehntausend Dollar kostet mittlerweile eine handsignierte Edition des Fotografen.

Doch in der allgemeinen Aufregung geht auch die Originalität, die Surrealität seiner Bilder unter. In seiner berühmtesten Aufnahme fotografierte er 1.200 Nackte an den Ufern eines Sees im Bundesstaat Maine. Dicht aneinander gedrängt glänzen die bleichen Leiber auf den Schwarzweißfotos wie frisch gefangene Heringe. Jede Individualität geht in einer Flut aus Fleisch unter, in Wellen rosafarbenen Wassers. Zwischen hunderten von nackten Leibern, einer Menschenherde, gibt es das Attribut „fett“ nicht mehr, kein „schön“, „schlank“ oder „muskulös“. All das Markante und Besondere des Mensch-Seins verschwindet ebenso wie der Körper als Sex-Objekt und die Erotik. Statt dessen existieren nur mehr Form und Linien, die etwas Neues konstruieren, ganz abhängig vom Auge und der Stimmung des Betrachters. „Es ist schwer vorstellbar, dass nackte Körper nicht erregen können. Aber es ist möglich“, meint auch Tunick. „Vielleicht hätte sich Giuliani die Bilder ja mal anschauen sollen, bevor er einen Krieg vom Zaun brach.“

Kontaktadresse: nakedpavement2@hotmail.com

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